Lüneburg – Schüler an der Michaelisschule

Johann Sebastian Bach besuchte von 1695 bis März 1700 die Lateinschule in Ohrdruf. Wenigstens im letzten Jahr erhielt er eine Förderung, den sogenannten Freitisch. Da diese Unterstützung im März 1700 endete, scheint sich sein Vormund Johann Christoph Bach rechtzeitig nach Alternativen umgesehen zu haben. Wie der Kontakt zur überregional bekannten Michaelisschule zustande kam, ist unbekannt. Möglich, dass der in Ohrdruf wirkende Kantor Elias Herda (1689–1695 selbst Freischüler der Michaelisschule) auf die Stipendien für musikalisch begabte Kinder armer Leute an der Lüneburger Michaelisschule aufmerksam gemacht hatte. Bach und sein Schulfreund Georg Erdmann traten vermutlich im März 1700 den Weg in die rund 350 Kilometer entfernte Hansestadt Lüneburg an. Erstmals fassbar sind beide am 3. April 1700 in einer Liste zur Verteilung der Mettengelder.

Der Mettenchor der Michaelisschule, dem Bach und Erdmann angehörten, bestand aus musikalisch begabten und stimmlich fähigen Sängern. Ihr Dienst umfasste die Hauptgottesdienste, Vespern und Metten sowie Früh- und Vorabendgottesdienste, hinzu kam zeitweise das Kurrende-Singen in bestimmten Straßen der Stadt. Nach mehrfachen Handgreiflichkeiten zwischen den Chorsängern der Michaelis- und der Johannisschule überwachte der Stadtrat die im Winterhalbjahr beinahe täglich stattfindenden Umgänge, bei denen an jeder Station jeweils zwei Stücke vorgetragen wurden. Als Mettensänger erhielten Bach und Erdmann zwei Jahre lang unentgeltlich Kost und Unterricht, mussten aber ihre Unterkunft selbst organisieren.

Die Impulse, die Johann Sebastian Bach in seiner Lüneburger Zeit empfing, wirkten lange nach. Er knüpfte Beziehungen zu dem gebürtigen Thüringer Georg Böhm, lernte an einem bislang unbekannten Ort den französischen Musizierstil durch die überwiegend mit französischen Musikern besetzte Celler Hofkapelle kennen und reiste bisweilen nach Hamburg, um den Organisten Jan Adams Reincken an der Katharinenkirche „zu belauschen“.

Bildnachweis: Bach-Archiv Leipzig