Paulinerkirche

1240 weihten Dominikanermönche an der südlichen Stadtmauer neben dem Grimmaischen Tor eine Klosterkirche. Nach einigen Zu- und Umbauten entstand im späten 15. Jahrhundert ein moderner spätgotischer Kirchenraum, dem 1521 ein dreischiffiger Chorraum hinter der Stadtmauer folgte, der aber teilweise im Zuge von Leipzigs neuer Stadtbefestigung 1546 weichen musste. In den Räumen des Dominikanerklosters suchten 1534 Philipp Melanchthon, Gregor von Brück und Christoph von Carlowitz mit den Gesandten des Bischofs von Meißen, Julius von Pflugk und Georg von Carlowitz, die dauerhafte Spaltung der christlichen Kirche zu verhindern. Fünf Jahre bringt die Einführung der Reformation in Leipzig das Dominikanerkloster in landesherrliches Eigentum – der Intervention des Stadtrats ungeachtet, überträgt Herzog Moritz von Sachsen die Anlage der Universität, die schon am 10. Oktober 1543 die Kirche als Aula und lutherischen Gottesdienstraum in Dienst nimmt und fünf Theologen promoviert. Nach einer Renovierung weiht Martin Luther am 12. August 1545 die Universitätskirche St. Pauli offiziell ein, die bis ins 19. Jahrhundert zum bevorzugten Bestattungsplatz Leipziger Professoren zählte. Im 18. Jahrhundert hatte sie eine barocke Westseite mit vorgelagertem, von zwei Säulen flankierten Portal erhalten, innen boten verzierte Doppelemporen den Universitätsangehörigen und Honoratioren ausreichend Platz, wobei im unteren Emporengeschoss Kapellen und Betstübchen eingebaut waren.

Im Zuge der 1710 eingeleiteten barocken Modernisierung der Kirche musste für den Neuen Gottesdienst mit Gemeindegesang die Orgel angepasst werden. Unter fachlicher Begleitung von Thomaskantor Johann Kuhnau und Nikolaiorganist Daniel Vetter verlegte Orgelbauer Johann Scheibe 1710–1716 die Orgel von der Südwand in ein neues Gehäuse auf die Westempore. Begleitet waren seine Arbeiten von verschiedenen Widrigkeiten und Abstimmungsproblemen mit der Universitätsleitung, die am Ende für den bestellten Orgelgutachter Johann Sebastian Bach offenkundig waren. Sein mehrtägiger Aufenthalt zur Prüfung der Orgel Mitte Dezember 1717 ist seine erste nachweisbare Begegnung mit Leipzig.

Organist und Musikdirektor war seit 1716 Johann Gottlieb Görner, der 1721 zunächst Organist der Nikolai- und 1729 der Thomaskirche wurde, als Musikdirektor aber für die Paulinerkirche zuständig blieb, während der Lehrer an der Nikolaischule Johann Christoph Thiele zu seinem Nachfolger als Organist berufen wurde. Als Thomaskantor oblag Johann Sebastian Bach hingegen laut Anstellungsvertrag die musikalische Gestaltung des sogenannten Alten Gottesdienstes am 1. Weihnachtstag, Ostertag, Pfingstsonntag und Reformationsfest um 9 Uhr. Da zeitgleich die Gottesdienste in den Hauptkirchen stattfanden, erklang erst nach der Predigt eine klein besetzt Figuralmusik, deren Leitung Bach oftmals einem fähigen Schüler übertrug. Die Geistlichen der Universitätskirche waren primär Theologen der Universität, die zugleich an einer der beiden Hauptkirchen wirkten, denn ein Kirchenamt als erster Pfarrer oder Archidiakon an St. Thomas oder St. Nikolai sicherte die Anwartschaft auf eine Professur, sodass die Universität in diesem Fall nicht für die Gehälter aufkommen musste.

Bildnachweis Graphik 1747: Bach-Archiv Leipzig
Bildnachweis Graphik 1790: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
 

Zu einem Disput mit Musikdirektor Johann Gottlieb Görner kam es anlässlich der Trauerfeier der Universität für die konfessionstreue Kurfürstin Christiane Eberhardine von Sachsen, die am 5. September 1727 auf Schloss Pretzsch gestorben war. Der Leipziger Student Carl von Kirchbach ersuchte am 12. September die Universität und am 3. Oktober 1727 den Kurfürsten um Erlaubnis, in der Universitätskirche einen akademischen Trauerakt mit einer deutschen Lob- und Trauerrede von Johann Christoph Gottsched abhalten zu dürfen, mit deren Vertonung er zwischen dem 3. und 5. Oktober Thomaskantor Johann Sebastian Bach beauftragte; Görner als Musikdirektor der Universitätskirche fühlte sich übergangen und forderte sein Recht auf Lieferung der dotierten Komposition mitsamt der Aufführung ein (Dok II, Nr. 225). Schließlich führte Bach die in großer Eile am 15. Oktober 1727 abgeschlossene Trauerode Laß, Fürstin, laß noch einen Strahl BWV 198 mit vermutlich eigenmächtig vorgenommenen Eingriffen in Gottscheds Text, im Trauergottesdienst am 17. Oktober auf. Christoph Ernst Sicul berichtet darüber: „[…] also ließ sich auch darauf die Trauer-Music, so dießmahl der Herr Capellmeister, Johann Sebastian Bach, nach Italiänischer Art componiret hatte, mit Clave di Cembalo, welches Herr Bach selbst spielte, Orgel, Violes di Gamba, Lauten, Violinen, Fleutes douces und Fleutes traverses &c. und zwar die Helffte davon vor- die andere Helffte aber nach der Lob- und Trauer-Rede hören.“ (Dok II, Nr. 232).

Nachdem die Paulinerkirche 1813 ebenfalls als Lazarett und Gefangenenlager diente, folgte 1814–1817 eine umfassende Instandsetzung. 1830 ließ die Universität große Teile des ehemaligen Klosters für den „Augusteum“ genannten Universitätsneubau nach Plänen von Albert Geutebrück abbrechen. Mit der Einebnung der Wallanlage entstand vor der Paulinerkirche der großzügige Augustusplatz, weshalb das 1546 verstümmelte Chorhaupt der Kirche nun zur Fassade umgestaltet wurde und für Jahrzehnte die südliche Ansicht von Universität und Stadt prägte. Im Zeichen des Historismus erfolgte 1897/99 die Neugestaltung der Universitätskirche im „gotischen Stil“. Nach dem Zweiten Weltkrieg mehrten sich Diskussionen um den Abbruch der Gebäude, die die Stadtverordnetensitzung am 23. Mai 1968 mit einer Gegenstimme von Pfarrer Hans-Georg Rausch einstimmig beschloss – am 30. Mai 1968 ließ das DDR-Regime die Kirche sprengen, nachdem nur ein Teil der Kunstwerke aus der Kirch geborgen werden konnte.

Den Ende der 1960er Jahre erstellten Universitätsgebäude der damaligen Karl-Marx-Universität war nur eine kurze Dauer beschieden – 2007 wichen sie einer Neubebauung des Campusgeländes mit deutlichen architektonischen Reminiszenzen an die 1968 gesprengte Universitätskirche nach den Plänen des niederländischen Architekten Erik van Egeraat associated architects EEA. Der „Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli“ genannte Fest- und Gottesdienstraum der Universität entstand am historischen Ort der alten Universitätskirche. Während das neue Augusteum und die oberen Etagen des Paulinums zum Wintersemester 2012/13 in Betrieb genommen werden konnten, verzögerte sich die offizielle Einweihung des „Paulinums“ bis zum 1. Dezember 2017.

Bildnachweis: Bach-Archiv Leipzig (Dr. Markus Zepf, März 2020)