1695, 4. März (Eisenach): Bitte der Hinterbliebenen Johann Ambrosius Bachs um das Gnadenhalbjahr

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BRIEF AN DEN EISENACHER STADTRAT

 

              WohlEdle, Veste, auch WohlEhrenVeste,

              Groß- und Vorachtbare, Hoch- und Wohlgelahrte,

              Hoch- und Wohlweise, Insonders Hochgeehr-

              teste Herren Bürgemeisterr und Raht, hoch-

              geneigteste Patroni und Herren.

 

Denenselben können wir wehmüthigst zu hinterbringen nicht unterlaßen, ist Ihnen zwar albereit auch selbst wißend, welchergestalt der grundgütige Gott nach seiner hohen Allwissenheit unsern respectivè Ehemann und Vatter, Johann Ambrosium Bachen, E. Edl: Wohlw: Rahtß wohlbestalltgewesenen StadtMusicum, numehro seelig, jüngsthin den 20 passato durch den zeitlichen Todt von dieser mühseeligen Welt abgefordert, und wir dadurch zur betrübten Wittben abermahlß, und armen Vatter- und Mutterlosen Wäisen worden.
Wann denn solche durch diesen Todtesfall vacirende Haußmanß Stelle künfftig zu ersetzen, Unsern Hochgeehrtesten Herren alß Patronis zustehet, worzu wir auch sämbtlich alles Glück und Seegen wündschen, nicht zweifflende, Sie werden ümb ein gutes tüchtiges Subjectum gute Vorsorge tragen, gleichwohl aber aller Ortten, also hoffendlich auch hier, eine löbliche Gewonheit ist, bey solchen ereigneten Todtesfällen, denen Wittben und Erben einige Zeit zu gedulden, und Sie mit dem so genandten Gnaden-halben Jahre zu beschencken, maßen solches auch bey HoffCancelley und Cammer Bedienten gebräuchlich.
Alß ergehet an E. Edl: Wohlw: Raht, unser allerseitß dienstgehorsambstes Bitten, Sie wollen geruhen, gegen unß arme Wittbe und Wäisen sich so geneigt zu erweisen, und mit vorgedachtem | Gnaden halben Jahre anzusehen, in Betrachtung, daß (1.) dadurch unß armen Wittben und Wäisen eine große Hülffe geschehe, die hier und dar stehende Schulden abzutragen, welche bey diesen schweeren Zeiten durch unterschiedlich-erfolgte Todtesfälle in wenig Jahren, auch jüngste Verehligung wiederumb unsers respectivè EheManneß und Vatters, so zwar nur in 12. Wochen und 1. Tag bestanden, auch Artzney und Apotheker Kosten, causiret worden, (2.) E. Edl: Wohlw: Raht inzwischen auch Zeit gewinne, einen guten Musicum wieder zu bekommen, weil dergleichen höchstnöthig, und in Arnstadt auch geschehen, da nach Absterben Herrn Johann Christoff Bachs StadtMusici daselbst, unsers Mannes und Vaters Bruders, so vor 1 ½ Jahren albereit verstorben, die Stelle aber nur vor 8. Tagen besetzet, und bißhero durch die Gesellen und LehrJungen zu bestellen der Wittben verstattet worden, ob sich auch gleich binnen solcher Zeit über 8. biß 10. Subjecta angeben, die Stelle doch aufgehalten worden, ja, der Hochgebohrne Graff und Herr, der Wittben daselbst, gnädigst diese Wortte vermelden laßen,

 

ob denn kein Bach mehr vorhanden, der sich ümb solch Dienst anmelden wolte, Er solte und müste wieder einen Bachen haben,

 

welches aber nicht geschehen können, weil der liebe Gott das Bachische Musicalische Geschlecht binnen wenig Jahren vertrocknet, (3.) Die hiesigen 2. großen LehrJungen ihre Zeit biß auf drey Vierthel Jahr erstanden, da denn unß Wittbe und Wäisen das wenige Lehrgeld so noch rückständig auch zum besten bey der Looßsprechung ginge. (4.) Wir denn Dienst also bestellen laßen wollen, in Beforderung zweyer guten Gesellen, und der beyden großen LehrJungen, so schon vor Gesellen mit passiren können, daß an der | Kirchen Music, Abblasen und andern Aufwarttungen kein einziger Mangel soll gespühret werden. (5) Auch unser respective Ehemann und Seel: Vatter gegen jedwedem alhier bey Leben sich nun in die 23. Jahr so bezeiget hat, daß verhoffendlich weder von hohen noch niedern Ihme etwas wiedriges mit Bestande der Warheit wird nachgesaget werden können, und (6.) derselbe so wohl ein Kirchendiener gewesen, alß Cantor und Organista sind, solchen aber das Gnaden halbe Jahr auch zukömmet, dahero wir zum (7.) schließlichen unß in unserm Ehelende und betrübten Zustande hiemit selbst trösten, daß Er durch seine Music-Kunst und sonderliche Artt jedermänniglichen vergnüget, wovon wir zwar nicht zu rühmen haben, sondern andern davon zu reden überlaßen wird, und also (8.) das gute Vertrauen haben, es werde E. Edl. Wohlw. Raht unsers liebgewesenen Ehemannes und Vattershalber unß mit unserm Petito keinen Fehltritt thun laßen, wir werden es sämbtlich nicht allein mit dienst-gehorsambsten Danck erkennen und rühmen, sondern auch vor Dero allerseits gutem Wohlstande, langem Leben, und glückl: Regierung Gott instehend anflehen, die wir unter deßen hohen Protection, Dieselben empfehlende verharren,

E: Edl: Wohlw: Rahtß

 

Eißenach, den 4. Martij.

                 1695.

Ehren-Dienstwilligste
      gehorsambste,

             Johann Ambrosius Bachß

                   hinterl: Wittbe und

                 Erben.

A. C. Dedekindt. Cantor curaois noie

                  concepit & subscripsit

 

Denen WohlEdlen, Vesten, auch WohlEhren-

Vesten, GroB- und Vorachtbaren, Hoch- und Wohl-

gelahrten, auch Hoch- und Wohlweisen Herren

BürgeMeistern und Raht, der Fürstlich Sächßischen

Residenz Stadt Eißenach, Unsern insonders

hochgeehrtesten Herren und hochgeneigtesten

Patronis.

 

Quelle: Bach-Dokumente, Band 2, Nr. 3