1736, 13. September: Eingabe wegen Streitigkeiten mit Bach um die Einsetzung von Präfekten

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       P. M.

Der communicirte Verlauff wegen des alumni Kraußen und der ihm eigenmächtig und ohne hinlängliche Ursache genommenen Prœfectur ist weder völlig, wie der von mir 2. Tage nach diesem aufgesetzten Verlauff, nemlich am 17. August eingegebene Bericht anzeiget, den ich bedürffenden Falls durch des Herrn ConRectoris und vieler alumnorum Zeugniße bestätigen könnte, ia mit guten gewißen beschweren wolte, noch wahrhaftig. Herr Bach weiß nichts anzuführen, als seine Untüchtigkeit, weil er meynet, man werde ihm das Urtheil darüber nicht alleine zugestehen, sondern es auch in diesem Falle vor richtig und unpartheyisch halten. Allein gleichwie ich schon andere Proben anführen könnte, daß man sich auf seine testimonia hierinne nicht allezeit verlaßen kann, und wohl eher ein alter Species Thaler einen Discantisten gemacht, der so wenig einer gewesen, als ich bin; so bin ich auch gewis versichert, daß sein Vorgeben hierinne gäntzlich unrichtig ist, und versichere ich bey meiner Ehre, daß ich gleich von Anfange nicht ein Wort zu der Veränderung hätte sagen wollen, wenn es nur die geringste Wahrscheinlichkeit hätte. Ist der Knabe zur ers[t]en Prœfectur untüchtig, so ist er es gantz ohnfehlbar auch zu den andern. Denn die Prœfecti haben alle gleiche Verrichtung, welche darinnen bestehet, daß sie 1) die Motetten in der Kirche dirigiren, und der, so in der Schule unter ihnen der oberste ist, er sey erster oder anderer Prœfectus welches eben ietzo der Krause ist, bey den | precibus in der Schule, 2) die Lieder in der Kirche anfangen 3) im Neuen Jahre eine Cantorey bey dem Singen in den Häusern dirigiren; der Unterschied bestehet blos darinnen, daß der erste Prœfectus das letztere auch in der Michaëlis Meße thut, und auf Hochzeiten bey Tische einige Motetten singen läßt, dabey er dirigirt; der andere Prœfectus aber, die Music im andern Chor an Festtagen dirigirt, welches der erste Prœfectus nicht thut. Sind also die Stücken so im ersten Chor musicirt werden intricater, dis ist das einzige argument, so er anführet und anführen kann, so dirigirt ia Herr Bach und nicht der Prœfectus. Der Vorige Prœfectus Nagel hat nie was anders gethan, als die Violine gestrichen. Und wie kömt es denn, daß er ietzo eben einen ersten Prœfectum haben wil, der im ersten Chor ein schwer Stücke dirigiren kann, da er ihn sonst nicht gehabt, oder wenigstens eben nicht darauf gesehen, wenn er nur sonst affection vor die Person gehabt? Denn wenn er sonst verreiset ist, hat er ordentlich den Organisten aus der Neüen Kirche als Herrn Schotten und Gerlachen dirigiren laßen, wie es der letztere, bedürffenden Fals, attestiren wird. Wiewohl es freylich beßer ist, daß es der Prœfectus thun kan. Aber wenn er untüchtig ist, nach seinem Vorgeben, warum ist er 1) nicht dabey geblieben, da ich schon darein consentiret hatte, daß er in dem Fall, wieder anderer Prœfectus seyn möchte, sondern sagt den alumnis | und NB. mir selbst, da ich ihn darüber constituire, auf meiner Stube ins Angesichte, daß er ihn um meinetwillen, und weil man ihm gesagt, daß ich etwas geredet welches seinen Juribus prœiudicirlich, NB. nicht, zu der ersten Prœfectur nicht laßen, denn er hatte sie schon 4 Wochen und länger verwaltet, sondern wieder absetzen wolle; welches ia die Ursache ist, warum ich mich dagegen gereget, indem es ia nicht consilii ist, zu leiden, daß er dergleichen Dinge thut, und den Schülern seine Absichten wißen läßet. 2) Hatte er ihn in den 4 Wochen erst, und nicht schon in den 6. Jahren, die er ihn in seinen Singestunden gehabt, welches billig seyn solte. nicht vor tactfest befunden, so mußte ihm ia gar keine Prœfectur gegeben werden. Denn wenn er im ers[t]en Chor nicht tactfest ist, wird er es gewis im andern auch nicht seyn, und so war ia es wieder sein Amt und Gewißen, daß er mir durch den Herrn ConRectorem sagen und versprechen ließe, er wolle ihn auf meinen Brief, den ich ihm Tages vorher geschrieben, in der ersten SingeStunde wieder einsetzen. Die Probe so er 2. Tage nach diesem Versprechen, und da er wieder von dem entlauffenen Krausen, wie zuvor, verhetzt worden, ist eine Falle gewesen. Die Schüler, so ich befragt, sagen, er hätte es ein einzigmal versehen, und sich gleich corrigiret. Es wäre ein groß wunder, meines Erachtens, wenn er es gar nicht versehen hätte, da Herr Bach die intention gehabt und gewünschet, daß er es versehen solle. Daß ich den Herrn Cantorem solte | gebeten haben, dem alnmno Krausen eine prœfectur zu geben, ist grundfalsch. Die Sache verhält sich also: Als wir vor dem Jahr gegen Advent von Herrn M. Kriegels Hochzeit miteinander nach Hause fuhren, fragte er mich, ob dieser Krause mit Prœfectus werden solte, denn es wäre nun Zeit, daß die gewöhnlichen SingeStunden so vor dem neuen Jahr gehalten werden von den Prœfectis angiengen, und müße also nun der NB. vierdte nicht dritte, wie Herr Bach schreibt gemacht werden, denn die ersten 3. Prœfecti waren damals Nagel, Krauß und Nitsche (daß man sich doch im Lügen so leicht verräth!). Er habe das Bedencken, daß er sonst ein liederlicher Hund gewesen. Ich sagte darauff; das letzte wäre freylich wahr, und hätte er vor 2. Jahren 20 rthl. Schulden gehabt (wobey ein Kleid à 12 rthl. gewesen) wie ich von Herrn Gesnern im Caution Buch angemerckt befunden; weil es ihm aber Herr Gesner communicato mecum consilio, wegen seines treflichen ingenii pardonnirt, und die Schulden nun mehrentheils bezahlt wären, könne man ihn wohl nicht prœteriren, wenn er anders tüchtig wäre einen prœfectum abzugeben. Darauf antwortete er mir, wie Gott weiß, Ja tüchtig ist er wohl. und so ist er nachher dritter, anderer und erster Prœfectus worden, und kann ich auf meine Ehre versichern, daß keine Klage über ihn kommen. Die Fauten so in der Kirche gemacht worden, sind vorgegangen, ehe er vierdter Prœfectus worden. Der Herr Superint. sagte mir neulich, seit dem Er der vielen Unordnungen in der Kirche halber ein Einsehen zu haben befohlen, habe man doch nichts wieder verspühret. Das ist aber gleich nach dem neüen Jahre geschehen, da Krause noch in keiner Kirche absang. Wie kann Herr Bach befunden haben, daß sie von ihm herkommen? etc. Leipzig den 13. Sept. 1736

                                                                                                                                                                        M. Jo. Aug. Ernesti R.

 

Quelle: Bach-Dokumente, Band 2, Nr. 383