1728, 20. September (Leipzig): Eingabe an den Rat der Stadt Leipzig

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Magnifici,

HochEdelgebohrne, HochEdle, Veste, Hoch-

und Wohlgelahrte, auch Hochweise,

HochzuEhrende Herren und Patroni,

 

Ew. Magnificenz HochEdelgebohrene und HochEdle Herrlichkeiten geruhen Sich Hochgeneigt zurück zu erinnern, welchergestalt bey erfolgter uocation des mir anvertraueten Cantorats bey hiesiger Schulen zu St. Thomae ich von E. Magnificenz HochEdelgebohrenen und HochEdlen Herrlichkeiten dahin verwiesen worden, derer bißanherigen Gebräuchen bey dem öffentlichen GottesDienst allenthalben gebührend nachzugehen, und keine Neuerung einzuführen, mir auch hierunter Dero hohen Schutz angedeyhen zu lassen hochgeneigt versichert. Unter diesen Gebräuchen und Gewohnheiten ist auch die Verordnung derer Geistlichen Gesänge vor und nach denen Predigten gewesen, welche mir und meinen Antecessoribus des Cantorats nach Maßgebung derer Evangeliorum und dahin eingerichteten Dreßdner-Gesangbuchs, wie es der Zeit und Umstände conuenient geschienen, lediglich überlassen worden, allermassen, wie das löbliche Ministerium es zu attestiren wissen wird, niemahls contradiction | dießfalls entstanden. Diesem zu wieder aber hat sich der Subdiaconus der Kirchen St. Nicolai Herr Mag. Gottlieb Gaudlitz einer Neuerung bißanhero zu unterziehen, und an statt der bißherigen Kirchen Gebrauch gemäß geordneten Lieder, andere Gesänge anzuordnen gesuchet, und als ich wegen besorglicher consequentien darein zu condescendiren Bedencken getragen, beschwerde bey dem Hochlöblichen Consistorio wieder mich geführet, und eine Verordnung an mich ausgewürcket, Inhalts welcher ich hinkünfftig dieienigen Lieder, welche mir von den Predigern angesaget werden würden, absingen lassen solle. Wann dann aber mir solches ohne vorbewust E. Magnificenz HochEdelgebohrenen und HochEdlen Herrlichkeiten als hohen Patronis derer alhiesigen Kirchen zu bewerckstelligen um soviel weniger geziehmen will, da bißanhero von so langer Zeit beständig die Verordnung derer Lieder bey dem Cantorat inturbiret geblieben, ermeldter Herr Mag. Gaudlitz auch selbst in seinen an das Hochlöbliche Consistorium gerichteten und beygehenden abschrifftlichen Schreiben sub A. gestehet, daß, wenn ihm ein oder das anderemahl gefüget worden, mein als des Cantoris Einwilligung hierzu erfordert worden. Wozu kommt, daß wenn bey Kirchen Musiquen auserordentlich lange Lieder gesungen werden sollen, der Gottesdienst aufgehalten | und also allerhand Unordnung zu besorgen stehen würde, zugeschweigen kein eintziger derer Herren Geistlichen, ausser der Herr Mag. Gaudlitz als Subdiaconus diese Neuerung zu introduciren suchet. Welches ich also E. Magnificenz HochEdelgebohrenen und HochEdlen Herrlichkeiten als Patronis derer Kirchen gehorsamst zu hinterbringen der Nothdurfft erachtet, mit unterthänigen Bitten, mich bey denen bißherigen üblichen Gebräuchen derer Lieder und derer Anordnung Hochgeneigt zu schützen. Wofür lebenslang verharre

 

E. Magnificenz HochEdelgebohrenen

und HochEdlen Herrlichkeiten

 

Leipzig den 20. Sept. 1728.                                                                                        gehorsamster

Johann Sebastian Bach. etc.

 

Denen Magnificis, HochEdelgebohrnen,

HochEdlen, Vesten, Hoch- und Wohlgelahrten,

auch Hochweisen Herren, Herren Burgermei-

ster und Beysitzern des löblichen Stadt Regiments

zu Leipzig etc. Meinen HochzuEhrenden

Herren und Patronis etc.

 

 

A.

 

An

das Chur und Fürstlich Sächßische

Consistorium zu Leipzig,

 

P P.

 

Es ist ungefehr vor Jahresfrist geschehen, daß ich mit Vorbewust Ihro Magnifizenz des Herrn Superintendenten und Einwilligung des Herrn Cantoris ein der reinen Evangelischen Wahrheit gemäßes Lied in meiner ordentlichen Vesper-Predigt anzugeben den Anfang gemacht, und biß daher also fortgefahren. Nachdem aber obgedachter Herr Cantor unter dem eitelen Vorwand, daß Er

seinen Successoribus nichts vergäbe, solches ferner nicht leiden will; Als sehe mich genöthiget, zu Ew. Magnif. und HochEdlen Herren meine Zuflucht zu nehmen, und zu bitten, daß Sie hochgeneigt geruhen wollen, mir bey diesem allein zur Ehre Gottes abziehlenden Vornehmen, die Hand zu biethen, und mir dasjenige zu verstatten, was nicht nur andern meinen HochgeEhrtesten Herren Collegen, wie auch denen Herren LandPredigern bey Circulations-Predigten, ia ieden priuato bey Copulationen und Leichen-Predigten erlaubt ist. Ich versehe mich hochgeneigter Willfahrung. Gott aber, dessen Ruhm gesuchet wird, wird es vergelten, der ich im übrigen mit aller Deuotion und Respect verharre

 

E. Magnif. und HochEdlen

Herren

Leipzig d. 7. Sept.

1728.

 

gebeth und dienstschuldigster

M. Gottlieb Gaudlitz.

 

Quelle: Bach-Dokumente, Band 1, Nr. 19