1736, 15. August (Leipzig): Eingabe an den Rat der Stadt Leipzig

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P. M.

 

Der völlige und wahrhafftige Verlauf wegen des Alumni Krausen, so von dem Herrn Rectore als erster Prœfectus mir aufgezwungen werden will, verhält sich also: Bereits gemeldeter Krause ist schon vorm Jahre in solchem schlechten Ruffe wegen unordentlicher LebensArt und dahero entstehenden Schulden gewesen, daß seinethalber ein Convent gehalten, und darinne ihm nachdrücklich angedeütet worden, daß, ob er wohl verdienet hätte seines liederlichen Lebens wegen so fort von der Schule gejaget zu werden, man doch in Ansehung seines dürfftigen Zustandes, (da er selbsten gestanden über 20 Thaler Schulden gemachet zu haben) und auf Angelobung sich zu beßern, noch ein Viertheil Jahr mit ihme Gedult zu haben, und so dann nach Befindung seiner geänderten LebensArth ihme weitere Nachricht ertheilet werden solte, ob er noch ferner gedultet oder removiret seyn würde. Da nun der Herr Rector vor ihme, Krausen, iederzeit besondere Geneigtheit spühren laßen, auch zu dem Ende mich mündlich ersuchet, ihme eine Prœfectur angedeyen zu laßen, ich aber Ihme remonstriret, daß er darzu nicht geschickt; der Herr Rector aber darauf replicirete, daß ichs immer thun möchte, damit besagter Krause sich aus seinen Schulden reisen könte, und dadurch eine der Schule sonsten zuwachsende blame vermieden würde, zumahlen, da seine | Zeit bald aus seyn, u. man ihn also mit guter manier looß würde; So habe darunter dem Herrn Rectori eine Gefälligkeit erweisen wollen, und dem Krausen die Prœfectur in der Neüen Kirche (als woselbst die Schüler weiter nichts als Motetten und Chorœle zu singen, mit anderer Concert Musique aber nichts zu thun haben, weiln selbige vom Organisten besorget wird) gegeben in Erwegung, daß ohne dem die Jahre seines reverses biß auf eines verfloßen, u. nicht zu besorgen, daß er weder das andere noch weniger das erste Chor würde zu dirigiren bekommen können. Da nachhero aber der Prœfectus Chori 1. nahmens Nagel von Nürnberg bey letztverwichenem Neüen Jahres Singen sich beklagete, wie daß er wegen übelbeschaffener LeibesConstitution nicht im Stande sey es auszutauern; als wurde genöthiget außer der sonst gewöhnlichen Zeit eine Änderung mit denen Prœfecturen zu treffen, den zweyten Prœfectum in das erstere Chor, u. offt besagten Krausen aus Noth in das andere Chor zu nehmen. Da er aber mit dem tact geben verschiedene Fauten begangen, wie aus mündlicher relation des Herrn Conrectoris (so im zweyten Chor die Inspection hat) vernommen, da nach Befragung wegen geschehener Fauten, von denen übrigen alumnis die Schuld einzig und alleine dem Prœfecto wegen | unrüchtiger Führung des tactes beygemeßen worden; Ich auch noch ohnlängst in der Singstunde selbsten eine probe seines tact führens genommen, da er dann so schlecht bestanden, daß er nicht einmahl in denen beeden Haupt Arten des tactes, als nemlich dem gleichen oder 4 Viertel, u. dem ungleichen oder 3 Viertel tact, die mensur accurat hat geben können, sondern bald aus 3/4, einen gleichen, und vice versa gemachet, (wie solches sämtliche alumni attestiren müßen;) dahero von seiner Ungeschickligkeit völlig überzeüget worden; als habe ihme ohnmöglich die Prœfectur des ersteren Chores können anvertrauen, zumahlen die musicalischen Kirchen Stücke so im ersteren Chore gemachet werden, u. meistens von meiner composition sind, ohngleich schwerer und intricater sind, weder die, so im anderen Chore und zwar nur auf die FestTage musiciret werden, als wo ich mich im choisiren selbiger, nach der capacitè derer, so es executiren sollen, hauptsächlig richten muß. Und ob zwar noch mehrere Ursachen könten angeführet werden, welche den Krausen seiner incapacite noch kräfftiger überführen dörfften, so erachte doch, daß die bereits angeführten raisons hinlänglich, darzuthun, daß meine En: HochEdlen u. Hochweisen Rathe gehorsamst insinuirte Beschwerden gerecht, u. einer baldigst- und schleünigen Hülffe benöthiget.

 

Leipzig. den 15. August.                                                                                                                            Joh: Sebast: Bach.

                  1736.

 

Quelle: Bach-Dokumente, Band 1, Nr. 34