1739, März (Leipzig) und 1745 (Hamburg): Verteidigung Bachs gegen Scheibes Angriffe und nachträgliche Anmerkungen Scheibes

Zum Kalendarium

Dem Hochedlen Herrn,

Herrn Johann Sebastian Bach,

etc. etc.

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Hochedler, Hochgeehrtester Herr!

Ich nehme mir abermals die Freyheit, Ew. Hochedlen eine kleine Schrift zuzueignen, welche die Vertheidigung Dero unrechtmaßig verkleinerten Ruhms zum vornehmsten Gegenstande hat. Ich darf nicht besorgen, daß dieses mein Unterfangen Ew. Hochedlen misfällig seyn werde; indem nicht die geringste eigennützige Absicht, vielmehr alle nur ersinnliche Hochachtung vor Dero Verdienste in der Musik, daran Antheil nimmt. Nur wünschte ich, daß diese Blätter den von mir abgezielten Endzweck völlig erreichen mögten. Allein, dieses ist ein Wunsch, dessen Erfüllung ich nicht sicher hoffen darf. Wo vorgefaßte Meynungen, und eine hartnäckige Behauptung derselben, der Wahrheit zu den Herzen unserer Gegner den Eingang verschließen; kann man da wohl hoffen, daß auch die vernünftigsten Widerlegungen sie auf andere Gedanken bringen werden? Ich besorge nicht ohne Ursache, daß die Mühe, die ich mir in gegenwärtiger Vertheidigungsschrift gegeben habe, meinem Gegner gesundere Gedanken von den Vollkommenheiten beyzubringen, welche Ew. Hochedlen eigen sind, werde umsonst und vergebens seyn.
Jedoch, ich werde mich zufrieden stellen, wenn mein billiger Eifer für Dero Ehre von Ihnen selbst einiges Beyfalls werth geachtet wird. Ich werde mich glücklich schätzen, wenn unparteyische und wahrhafte Kenner derer musikalischen Vollkommenheiten, welche Ew. Hochedlen für andern sonderbar machen, mir das Zeugniß geben; ich habe die Wahrheit geschrieben. Ich werde höchst vergnügt seyn, wenn meine wenige Bemühungen etwas beygetragen haben, diejenigen, so annoch zweifelhaft waren, welcher Meynung sie Beyfall geben sollten, völlig auf Dero Seite zu lenken. Ja, ich werde mir es vor eine Ehre schätzen, wenn Ew. Hochedlen diese meine Arbeit, als einen, ob gleich unvollkommenen, Beweis, der Ihnen schuldigen Ergebenheit, gewiß annehmen, und zugleich vergönnen wollen, mich noch ferner zu nennen

Ew. Hochedlen,

       Meines hochgeehrtesten Herrn,

Leipzig, im März,

        1739.

gehorsamst verbundenster

        M. Joh. Abraham Birnbaum.

 

Meine vornehmste Absicht gehet nämlich dahin, die zu Anfange des vorigen Jahres, von mir herausgegebenen unparteyischen Anmerkungen, über eine bedenkliche Stelle in dem sechsten Stücke des critischen Musikus, wider die, denenselben entgegen gesetzte Beantwortung, zu rechtfertigen, und die darinnen beleidigte Ehre des Herr Hofcompositeurs, Bachens, nebst meiner eigenen, zu retten. Und dieser höchstbillige Vorsatz würde schon längst seyn zu Werke gerichtet worden, wenn nicht einige unablegbare Hindernisse den Druck dieser meiner Arbeit verzögert hätten.
Mein Gegner hat sich erkühnet, einen der größten Meister der Musik ohne Ursache zu tadeln; ich habe dazu schweigen, oder, da ich ja was sagen wollte, seinen ungerechten Tadel billigen sollen. Beydes haben mir die Gesetze der Wahrheit und Freundschaft nicht erlaubt. Sie haben mich vielmehr verpflichtet, das Gegentheil zu thun.
Welcher Mensch lässet sich sogar seine wahren Fehler öffentlich gern vorrücken; zumal von Personen, welche nicht zu Richtern darüber gesetzt, auch darzu nicht einmal geschickt sind? Welcher Mensch wird vollends so unempfindlich bleiben können, wenn ihn dergleichen unbefugte Tadler öffentlich solcher Fehler beschuldigen, von denen ihn die Wahrheit selbst frey spricht? Der große Meister in der Musik, welcher in gedachter Stelle widerrechtlich angegriffen worden, ist aus der Zahl der letztern. Da dieser große Mann sich selbst niemals die Mühe nehmen wird, seiner eigenen Person halber, mit jemand einen Federkrieg anzufangen; war es nicht höchstwahrscheinlich, daß sich einer von seinen Freunden regen, und einem unbesonnenen Tadler sein begangenes Unrecht vorhalten würde?
Mein Gegner nimmt nunmehro meine Schrift selbst vor, nicht zwar in der Absicht, deren Inhalt so gleich zu beantworten, als vielmehr aller Welt vor Augen zu legen, wie geschickt er ist, über die geringsten Kleinigkeiten auf die abgeschmackteste Art zu critisiren. Er hat kaum den Titel | meiner Schrift genennet; er hat kaum gesagt, daß sie dem Herrn Hofcompositeur Bach zugeeignet sey: so weis er auch gleich eine ganz besondere Ursache anzugeben, warum solches geschehen seyn soll: weil sie nämlich vielleicht durch Veranstaltung des Herrn Hofcompositeurs wäre ausgefertiget worden. Was dient dieses zur Hauptsache? Oder, was hat mein Gegner vor Recht, sich darum zu bekümmern*) ? Gesetzt, es wäre dem also, hätte etwan der Herr Hofcompositeur unrecht gethan, wann er einige Anstalten gemacht, so zu Rettung seiner Ehre nöthig gewesen? Mein Gegner muß dieses vermuthlich denken, denn sonst würde er sich bey einem Nebenumstande nicht aufgehalten haben, der nicht von der geringsten Wichtigkeit ist. Oder hat er vielleicht diese Anmerkung deßwegen hingesetzt, damit jedermann sehen mögte, wie es ihm was leichtes sey, bey erhaltenen Nachrichten auf irrige Muthmaßungen zu verfallen. Die Worte: Wenigstens hat sie der Herr Hofcompositeur seinen Freunden und Bekannten mit nicht geringem Vergnügen selbst ausgetheilet, beweisen solches nicht undeutlich. Mein Gegner muß, indem er dieses geschrieben, unfehlbar diesen Satz zum Grunde geleget haben: Wer eine Schrift mit Vergnügen unter gute Freunde austheilet, der hat auch die Ausfertigung derselben veranstaltet. Da aber der Allgemeinheit dieses Satzes unzählig viel Ausnahmen im Wege stehen, so Bücher, akademische Streitschriften, Hochzeit- und andere Glückwün|schungsgedichte und Reden überflüßig an die Hand geben: so ist nicht allein der Satz selbst, in so ferne er einen Grundsatz abgeben soll, sondern auch, der sich darauf gründende Schluß falsch und verwerflich.

 

*) Ich glaube, ich werde dazu eben so viel Recht gehabt haben, als der Herr Magister gehabt hat, sich zu bekümmern, wer der Verfasser des critischen Musikus sey? ... Inzwischen habe ich wohl unterlassen auf meine Erkundigung Schlüsse zu bauen, ob ich schon dazu sehr wohl gegründete Ursachen gehabt habe. Ueberdieses habe ich mich auch mit allem Fleiß des Wörtchens: Vielleicht, bedienet; damit mir ja niemand vorwerfen könnte, ich hätte die Ursache der Zuschrift angeben wollen. Wiewohl wenn ich auch dieses gethan und das Wörtchen Vielleicht, weggelassen hätte: so hätte ich weiter nichts gethan, als was ich durch verschiedene Zeugen beweisen könnte.

 

Der Verfasser der Beantwortung nimmt sich die Freyheit, dreyerley an dem Titel meiner Schrift auszusetzen. Erstlich, daß er falsch, zum andern, undeutlich, und drittens, auf lächerliche Art beschlossen sey...
Das Falsche soll, nach der Meynung meines Gegners, in den Worten: unparteyische Anmerkungen, liegen. Er giebt vor, meine Schrift könne den Titel: unparteyisch, deswegen nicht führen, weil in der Ausführung die größte Parteylichkeit herrsche. Er beschuldiget mich, daß ich der einen Partey, nämlich dem Herrn Hofcompositeur, außerordentlich geschmeichelt, sie gelobet, alle ihre Handlungen ganz frey von Fehlern gehalten, dabey das Gegentheil auf das stärkste verachtet, dessen Handlungen durchgehends getadelt, und alles hervorgesucht hätte, es zu verkleinern, und bey andern in übeln Argwohn zu setzen. Ich hätte mir endlich bloß angelegen seyn lassen, meinen Freund zu erheben, zu beschützen, und seine Vorzüge auf das beste herauszustreichen. Allein, wodurch habe ich dem Herrn Hofcompositeur außerordentlich geschmeichelt? Soll es dadurch geschehen seyn, daß ich die wahren Verdienste desselben mit demjenigen Ruhme beleget habe, den ihnen alle vernünftige Kenner einmüthig zugestehen: so muß ich denken, mein Gegner Wisse ein billiges Lob von einer außerordentlichen Schmeicheley noch nicht recht zu unterscheiden. Und ich habe desto mehr Ursache, solches zu glauben, da ich in den unmittelbar folgenden Worten, deswegen der Parteylichkeit schuldig erachtet werde, weil ich den Herrn Hofcompositeur gelobet habe. Denn daß dadurch ein außerordentlich Lob verstanden werde, kann ich mir deswegen nicht | einbilden, weil es eine unnütze Wiederholung des vorhergehenden wäre.
Allein, aus was vor tüchtigen Ursachen wirft mein Gegner die unnützen Fragen auf: ,,Warum man eben die so genannte bedenkliche Stelle auf den Herrn Capellmeister Bach ausgedeutet? woher man eigentlich geschlossen, daß daselbst die Rede von Leipzig sey?“ ... | ... Der Verfasser der  unparteyischen Anmerkungen und viele andere haben aus denen in der bedenklichen Stelle angeführten Umständen gar leicht errathen können, daß der Herr Hofcompositeur damit gemeynet sey; so hat er sich selbst vor den Gegenstand außerordentlicher Vorzüge und nicht geringer Fehler ausgegeben? Wo und bey was für Gelegenheit hat der Herr Hofcompositeur sieh etwas merken lassen, das meinem Gegner nur einigen Grund zu seiner Vermuthung an die Hand geben können? Und wo hat er sich denn gar öffentlich erkläret, daß er getroffen sey? Wie wenn ich auf mein Gewissen versicherte, daß die guten Freunde des Herrn Hofcompositeurs Mühe genug gehabt haben, ihn dessen zu überführen? Er war viel zu bescheiden, als daß er das ihm noch zugetheilte, obgleich unvollkommene Lob, auf sich hätte deuten Wollen*). Er glaubte nicht, daß | der strenge Tadel ihn angehen könne, da ihn von den vorgerückten Fehlern, sein Gewissen und die Wahrheit, frey sprachen. Allein mein Gegner ist, nach Art aller kleinen Geister, nicht von zartem Gemüthe, noch von großer Ueberlegung. Er bricht, so zu reden, eine Gelegenheit vom Zaune ab, den Herrn Hofcompositeur fälschlich zu beschuldigen, daß er auf eine unanständige Art ehrgeizig sey; zugleich aber auch nicht läugnen könne, daß er die ihm vorgerückten Fehler, wirklich an sich habe. Ist es wohl möglich, daß ein Mensch, der das noch erst lernen muß, was dieser große Componist längst vergessen hat, sich einbilden kann, daß seine unvollkommenen Lobsprüche denselben hochmüthig, und seine nichtigen Beschuldigungen schamroth machen könnten? Man sehe nur, auf was vor Abwege die Urtheile eines Menschen gerathen, welcher in sich selbst verliebt ist. Bey so gestalten Sachen zweifle ich gar sehr, ob die Abschilderung des Herrn Hofcompositeurs, vermöge deren er sieh nicht allein selbst darinnen gefunden, sondern ihn auch andere erkannt haben, eben ein Meisterstück zu nennen sey, wovor es mein Gegner ansiehet. Einen berühmten Mann durch Anführung einiger weltbekannten Vollkommenheiten kenntbar machen, im übrigen nur dasjenige ohne Verstand nachbethen, was die gewöhnliche Sprache unverständiger Tadler in den Mund legt, ist ein Meisterstück, welches auch ein Calkant, oder ein anderer unstudierter Handlanger bey der Musik zu verfertigen im Stande ist**).

 

*) Es hätte der Herr Magister besser gethan, wenn er diesen Punct ganz und gar unberührt gelassen hätte. Ich weis es gar wohl, welche Mühe man sich gegeben hat, Leute aufzubringen, die gegen mich schreiben sollten. So ist es mir auch bekannt, wie man hie und da abschlägige Antwort erhalten hat...

 

**) Das müssen gelehrte Calkanten oder musikalische Handlanger seyn. Denn die einzige Vergleichung des Herrn Bachens mit dem Herrn von Lohenstein ist schon über den Verstand solcher Leute.

 

Im übrigen thut mein Gegner sehr wohl, daß er weiter kein Bedenken träget, dasjenige zu gestehen, was ohnedem eine sonnenklare Wahrheit ist, daß nämlich der Herr Hofcompositeur durch die bedenkliche Stelle gemeynet sey. Er will auch zugleich überzeugt seyn, daß ihm Gerechtigkeit wiederfahren ist.
... Man hat dem Herrn Hofcompositeur sein gebührendes Lob nicht ertheilet. Denn man hat ihm Fehler Schuld gegeben, welche durch Vernunft und Natur niemals zu finden waren, weil sie sich bey ihm niemals eräußern. Und durch die Aussprüche der größten Musikanten wird er gleichfalls davon frey gesprochen. Sie haben in ihren, sowohl an ihn, als an andere gute Freunde abgelassenen Briefen den in der bedenklichen Stelle enthaltenen ungerechten Tadel völlig gemisbilliget*). Sie haben einhellig voraus prophezeyet, daß der Herr Hofcompositeur | und seine Stücke im Ansehen bleiben würden, wenn auch tausend solche kleinen Geister und tadelsüchtige Creaturen, als der critische Musikus ist, sich unterstünden, denselben unbefugter Weise Schandflecken anzuhängen.

 

*) Vielleicht würde es mir weit leichter fallen, durch verschiedene in Händen habende Briefe das Gegentheil von des Herrn Magisters Vorgeben darzuthun. Man bedauret nur einmüthig, daß theils der Herr Bach sich selbst eingebildet, er wäre von mir beschimpfet worden, theils auch, daß sich unverständige Leute gefunden, und seinen Argwohn vermehret ja so gar öffentlichen Lärmen gemacht haben, ohne einmal die ihnen anstößigen Worte mit gehöriger Bedachtsamkeit zu betrachten.

 

Und sollte wohl selbst der Herr Hofcompositeur darum zu verdenken seyn, wenn er denjenigen für einen unbilligen und ungeschickten Richter erkläret, der vor nicht gar langer Zeit bey einer hiesigen Organistenprobe zu dem vorgelegten Führer einer Fuge nicht einmal den Gefährten finden, geschweige dieselbe regelmäßig ausführen können? ...
Endlich nach so vielen unnöthigen Umschweifungen, denen ich mit äußerstem Zwange, aus obbemeldten Ursachen, habe nachgehen müssen, greift mein Gegner das Hauptwerk selbst an. Er will mit aller Macht wider mich behaupten: daß das dem Herrn Hofcompositeur, nach meiner Meynung, beygelegte unvollkommene Lob desselben Verdiensten in allen Stücken gemäß sey. Er macht den Anfang mit der Vertretung des Worts: Musikant.

... Er [Scheibe] will ein Musikus seyn und heißen, der Herr Hofcompositeur und andere große Componisten können sich an dern Titel: Musikant, schon genügen lassen. Das Schlechteste ist für sie gut genug.

 

Nicht nur eines einzigen, sondern die einmüthige Uebereinstimmung vieler Meynungen wird erfordert, wenn ein Wort durch den Sprachgebrauch soll gerechtfertiget werden. Die von mir zum Grunde gelegte Erklärung aber ist natürlich, durch den allgemeinen, auch so gar gelehrten Sprachgebrauch, eingeführet. Es ist aber aus selbiger klar, daß das Wort, Musikant, unzulänglich sey, die Vollkommenheiten großer Componisten auszudrücken; ja es ist ihnen so gar gewissermaßen nachtheilig. Daher wird selbst die Vernunft den Herrn Hofcompositeur und alle andere große Meister der Musik nöthigen, sich über einen Titel zu beschweren, der gewiß unter allen musikalischen Ehrentiteln der schlechteste und verächtlichste ist. Nicht ich, sondern mein | Gegner wird so viel vernünftige und erfahrne Männer auf das stärkste und unhöflichste beleidiget haben, da er ihnen diesen so schimpflichen Titel mit aller Gewalt aufdringen, und dieses sein Verfahren mit einer so ungegründeten Herleitung und Erklärung beschönigen will. Ja, er hat sich an dem Herrn Hofcompositeur ins besondere gröblich vergangen*), indem, wie aus dem folgenden erhellen wird, er ihm so gar den Titel, Musikant, in der Bedeutung, in welcher er ihn genommen wissen will, abspricht, ihn offenbar der größten Unwissenheit in der gründlichen Theorie der Musik beschuldiget, und ihn also für einen bloßen praktischen Musikanten ausgiebt. Heißt das einen so großen Meister der Musik nach Verdiensten loben? Heißt das ihm Gerechtigkeit wiederfahren lassen?

 

*) Warum nicht gar versündiget? Was wird man endlich noch für Ausdrücke aussuchen, wenn ein Componist den andern einiger Fehler beschuldiget?

 

Mein Gegner häuft eine Ungerechtigkeit mit der andern, wenn er im folgenden behaupten will, daß das Wort, Künstler, ein besonderes wohl ausgesuchtes Wort sey, die Geschicklichkeit auszudrücken, welche der Herr Hofcompositeur auf dem Clavier und auf der Orgel besitzet... Ich habe bey dem Worte, Künstler, erinnert, daß es zu handwerksmäßig klinge. Weil nun dieses Wort eine so unrichtige Bedeutung hat; auch an dessen Stelle, mit leichter Mühe, ein weit nachdrücklicheres hätte können gesetzet werden:| so habe ich vermuthet, daß es demjenigen, der, dem ohngeachtet, solches braucht, kein rechter Ernst seyn müsse, den Herrn Hofcompositeur also zu loben, wie es seine außerordentliche Geschicklichkeit verdienet.

 

Dieses alles habe ich in meinen unparteyischen Anmerkungen mit wenig Worten also ausgedrückt: „Es sey dem Verfasser der bedenklichen Stelle kein Ernst gewesen, von der außerordentlichen Geschicklichkeit des Herrn Hofcompositeurs, also zu reden, wie sie es verdient.“ Wer siehet nicht hieraus, daß ich das Wort, Künstler, keinesweges als ein solches angesehen habe, das zum Spaße gebraucht wird? Ob aber mein Gegner, der ohnedem mehr Eifer bey dem Tadel des Herrn Hofcompositeurs, als bey dessen Lobe, bezeigt, etwan damit einen ungeziemenden Spaß getrieben habe, ist ein Punkt, darüber er sein Gewissen befragen mag.

 

Ob zum tüchtigen Clavier- und Orgelspielen nicht eben soviel Erfahrung und Wissenschaft erfordert werde, als zur Composition selbst? Ob eine solche musikalische Uebung, in welcher man theils eigene, theils fremde Gedanken, richtig, deutlich, ordentlich, zusammenhangend, und rührend ausdrucken soll, ohne gelehrtes Nachsinnen glücklich von statten gehen könne? Musici und Organisten von Einsicht und Erfahrung werden auf alle diese Fragen nicht anders, als mit einem einhelligen Ja, antworten können. Ja, sie werden noch über dieses hinzusetzen müssen: daß einem geschickten Meister auf dem Clavier und der Orgel die Regeln der Setzkunst und ein gelehrtes Nachdenken um desto nöthiger sey, je öfter von ihm erfordert wird, dasjenige in der Geschwindigkeit und ohne alle Vorbereitung zur Execution zu bringen, wozu ein bloßer Componist vielleicht mehr als einen Tag Zeit braucht. Sie werden endlich das, obgleich kurze, doch gründlich gefaßte Urtheil eines der größten Meister der Musik unserer Zeiten, des vortrefflichen Herrn Matthesons, billigen, dessen Worte diese sind: „Die liebe Orgel hat noch keinen Musicum gemacht; allein die Musik schon manchen Organisten*).“ Gewiß derjenige, dessen Geschicklichkeit | auf dem Clavier und der Orgel sich soweit erstreckt, bedeutet ungleich mehr, als alle Orgelmacher und andere Künstler. Und die ganz besondern Vorzüge, welche dießfalls dem Herrn Hofcompositeur eigen sind, verdienen, wenn ihnen ihr rechtmäßiges Lob wiederfahren soll, einen weit edlern Namen.

 

*) Diese Stelle stehet in der ersten Eröffnung des P. III. Cap. III. §. 3. Sie beweiset aber gerade das Gegentheil von demjenigen, was der Herr Magister damit zu beweisen gedenket. ... da nun die Componisten Organisten machen können, so müssen sie ja mehr zu bedeuten haben, als diese ihre Schüler. Man lege mir aber diesen Satz nicht auf gut Birnbaumisch aus. Ich weis gar wohl, daß Herr Bach so wohl ein großer Componiste, als ein großer Organiste ist, ja daß er nicht nur im Orgelspielen, sondern auch in der Composition, Unterricht ertheilen kann.

 

Da nun der Verfasser des Briefs die nöthige Mühe gesparet hat, auf solche Worte zu denken, so das billige Lob derselben sattsam auszudrücken wären geschickt gewesen; so habe ich mir dieselbe geben müssen, nicht zuvor neue, wie mein Gegner redet, sondern nur bessere Redensarten vorzuschreiben, die man zum Lobe des Herrn Hofcompositeurs hätte anwenden sollen... Uebrigens mögen vernünftige Leser entscheiden, ob die von mir vorgeschriebene Worte und | Redensarten: Der Herr Hofcompositeur ist außerordentlich stark auf dem Clavier und der Orgel, oder er ist ein Virtuoso auf beyden, nach dem ungegründeten Vorgeben meines Gegners, weitläuftig, ja so gar überflüßige und weithergesuchte Titel sind... Ich bin und bleibe im übrigen der Meynung, daß die Geschicklichkeit und die Vorzüge, so der Herr Hofcompositeur auf der Orgel und dem Clavier besitzet, so außerordentlich, und von einer so seltsamen Vollkommenheit sind, daß bis dato noch niemand gefunden worden, mit welchem er um den Vorzug hätte streiten können. Mein Gegner hält dieses vor eine allzustarke Ausschweifung in Lobeserhebungen. Gründliche Kenner der Musik hingegen halten es für ein Lob, das Gerechtigkeit und Wahrheit zum Grunde hat. Und ich kann ihnen um desto sicherer Beyfall geben, je weniger das Gegentheil, benebst der sich darauf gründenden, und mich angehenden falschen Beschuldigungen, sattsam erwiesen ist. Es | wird zwar dem Herrn Hofcompositeur der Herr Capellmeister Händel ausdrücklich entgegen gesetzt. Allein ich habe in meinen unparteyischen Anmerkungen die Ursachen zulänglich angeführet, welche mich bewogen haben, dem erstern vor dem letztern ein Vorrecht zu gönnen. Das daselbst befindliche Urtheil ist nicht meine Erfindung. Es gehöret denenjenigen unparteyischen Kennern der Musik zu, die beyde große Männer gehört haben, und von beyden ein gründliches Urtheil zu fällen im Stande waren. Deren Worte habe ich, so, wie ich sie gehöret, aufrichtig und ohne Zusatz, daselbst mitgetheilet. Mein Gegner aber, der den Herrn Capellmeister Händel wohl niemals, den Herrn Hofcompositeur hingegen niemals ohne vorgefaßte Meynungen, spielen hören, scheint nicht undeutlich dem erstern vor den letztern, wegen der Annehmlichkeit, das Vorzugsrecht zuzueignen, wenn er vorgiebt: „Daß des Herrn Händels sonderbare Annehmlichkeit zu spielen, wodurch er die Herzen seiner Zuhörer auf das zärtlichste rühre, auch den besten Musikverständigen ungewiß machen könnte, wer von diesen beyden großen Männern dem andern vorzuziehen sey*).“ Daß der Herr Hofcompositeur nicht weniger die Geschicklichkeit besitze, zugleich durch künstliches und annehmliches Spielen die Herzen seiner Zuhörer auf das zärtlichste zu rühren, bekräftiget das Zeugniß so vieler fremden und einheimischen Musikverständigen, welche die Verbindung zweyer so wichtigen Eigenschaften an demselben fast täglich bewundern. Es bekräftigen solches dessen jedermann vor Augen liegende Claviersachen, in denen man mit vielem Vergnügen nicht gemeine, sondern seltene Einfälle und Gedanken antrifft, welche allerdings gefallen und rühren. Sollte aber allenfalls diese Wirkung bey einigen nicht erfolgen, so wird es sonder Zweifel nur bey denenjenigen nicht geschehen, die ihren eigenen Empfindungen zuwider, aus Neid und Bosheit alles zu verwerfen pflegen, was sie nicht nachahmen können**).

 

*) In der 11ten Anmerkung zur Beantwortung der unparteyischen Anmerkungen habe ich dasjenige unparteyische Urtheil berühmter Musikverständigen von Wort zu Wort angeführet, auf welches ich meinen Ausspruch gegründet hatte. Daß ich aber dem Herrn Händel den Vorzug sollte ertheilet haben, ist eine Birnbaumische Wahrheit, die ihren Erfinder verräth.

 

**) Ich habe noch niemand gesehen, der irgend ein Kennzeichen des Verstandes gehabt hätte, und sich unterstehen wollen, dem Herrn Bach seine Verdienste im Clavier- und Orgelspielen abzusprechen. Der Herr Magister schilt also allhier ohne alle Ursache: denn jedermann wird seinem berühmten Freunde den Ruhm eines vollkommenen Meisters auf dem Clavier und auf der Orgel freywillig zugestehen.

 

Mein Gegner beschuldiget sogar seinen so genannten Briefsteller, daß er sich in seinem Schreiben etwas vergangen, da er dem Herrn Hofcompositeur allein dem Herrn Capellmeister Händel entgegen gesetzt. Er aber selbst vergeht sich bey dieser Gelegenheit noch weit mehr, da er den zu führenden Beweis, daß der Herr Hofcompositeur, in Ansehung der Orgel und des Claviers, mit noch mehrern um den Vorzug streiten könne, mit unerwiesenen Vermuthungen und Möglichkeiten endiget. Frankreich, sagt er, werde insonderheit Männer aufweisen, die sowohl auf der Orgel, als dem Clavier, keine gemeine Geschicklichkeit besitzen. Das kann wohl seyn. Allein ich mögte die Namen dererjenigen gerne wissen, welche den Herrn Hofcompositeur in beyden übertreffen sollten. So lange davon keine gewisse Nachricht gegeben wird, beweiset eine solche Möglichkeit nichts*). Wie, wenn ich ihm aber einen nennete, der zu seiner Zeit für den größten | Meister auf dem Clavier und der Orgel in ganz Frankreich gehalten wurde, wider welchen der Herr Hofcompositeur vor nicht eben gar zu langer Zeit die Ehre der Deutschen und seine eigene völlig behauptet hat. Es war solches Mons. Marchand, welcher bey seiner Anwesenheit in Dreßden, und da sich der Herr Hofcompositeur ebenfalls daselbst befand, auf Veranlassen und Befehl einiger Großen des dasigen Hofs, von dem letztern zum Versuch und Gegeneinanderhaltung beyderseitiger Stärke auf dem Clavier, durch ein höfliches Schreiben aufgefordert wurde, sich auch archeischig machte, verlangtermaßen zu erscheinen. Die Stunde, da zwey große Virtuosen eins mit einander wagen sollten, erschien. Der Herr Hofcompositeur benebst denenjenigen, so bey diesem musikalischen Wettstreite Richter seyn sollten, erwarteten den Gegenpart ängstlich, aber vergebens. Man brachte endlich in Erfahrung, daß selbiger bey früher Tageszeit mit der geschwinden Post aus Dreßden verschwunden war. Sonder Zweifel mogte der sonst so berühmte Franzose seine Kräfte zu schwach befunden haben, die gewaltigen Angriffe seines erfahrnen und tapfern Gegners auszuhalten. Er würde ausserdem nicht gesucht haben, durch eine so schnelle Flucht sich in Sicherheit zu setzen. So sahe es vor einigen Jahren aus. Ob aber nach der Zeit in Frankreich einer aufgestanden sey, welcher dem Herrn Hofcompositeur im Clavier- und Orgelspielen die Spitze biethen könne, ist von meinem Gegner annoch zu erweisen. Was gehen uns im übrigen „die im Verborgenen steckenden, imgleichen die Priester der Römischen Kirche an, die sich theils aus besondern Ursachen, der Welt nicht zeigen wollen, theils auch, weil sie in Klöstern eingeschlossen sind, nicht zeigen können.“ So lange man keinen zu nennen weis, deren Geschicklichkeit auf dem Clavier und der Orgel mit denen ganz außerordentlichen | Vollkommenheiten des Herrn Hofcompositeurs in beyden in eine Vergleichung zu setzen sind, taugt die Anführung ihres Exempels nichts zum Beweis, sondern vertritt nur die Stelle einer schwachvermutheten Möglichkeit... Es ist ja nicht die Frage: Ob es möglich sey, daß der Herr Hofcompositeur | einen jemals finden könne, der ihm an Geschicklichkeit auf dem Clavier und der Orgel gleich kommt, ja wohl gar übertreffe? sondern: Ob er zur Zeit bereits dergleichen Muster der Vollkommenheit gefunden habe? Nun diese Frage ist es, welche mein Gegner besser, als es geschehen, hätte beantworten und beweisen sollen, wenn er das, dem Herrn Hofcompositeur beygelegte allzuunvollkommene Lob hätte rechtfertigen wollen. Es wird solches aber nimmermehr geschehen können. Die Natur selbst hat den Herrn Hofcompositeur in diesem Stücke zum Meister der Seltenheit gemacht.

 

*) Die Gründe werden wohl auf beyden Seiten gleich stark seyn... Ich werde aber freylich niemals läugnen, daß zur Zeit niemand dörfte gefunden werden, der ausser dem Herrn Händel mit dem Herrn Bach um den Preis streiten könne.

 

Ich habe in gedachter Stelle dem Verfasser des bedenklichen Briefes, dessen Urtheil über den gemeinen Geschmack erhoben seyn will, zu verstehen gegeben: er habe von den besondern Vorzügen, die der Herr Hofcompositeur auf der Orgel und dem Clavier besitzt, nicht recht musikalisch geurtheilet. Dieses aus keiner andern Ursache, als weil er die erheblichsten Umstände, auf welche gründliche Kenner der Musik am ersten fallen würden, unberührt gelassen hat.

 

Das Hauptwerk selbst betreffende, wovon in gedachter Stelle die Rede ist: so soll in derselben, nach der Meynung meines Gegners, „von dem Lobe des Herrn Hofcompositeurs vollkommen musikalisch geredet seyn; es soll darinnen alles gesaget seyn, was man zum Ruhme eines so großen Mannes sagen kann. Man habe der Kürze folgen müssen. Wenn daher alle von mir angegebene Urtheile zugleich hätten angeführet werden sollen: so würde man nur solche Sa|chen einzeln erzählet haben, die zusammen genommen, bey einem solchen Manne seyn müssen, der ein so großes Lob, als der Herr Capellmeister Bach, verdienet. Man würde alsdenn solche Eigenschaften stückweise bemerket haben, die bereits wesentliche, natürliche und nothwendige Eigenschaften eines außerordentlichen Künstlers in der Musik sind.“ Wie schlecht ausgesonnen ist doch diese En[t]schuldigung? Sind denn die, in dem bedenklichen Briefe, zum Lobe des Herrn Hofcompositeurs angeführten Stücke nicht so gut wesentliche Eigenschaften eines großen Mannes, als die ich vorgeschrieben habe? Sind sie nicht so gut nur einzelne Vollkommenheiten, als die von mir angeführten? Soll man die wesentlichen Eigenschaften eines großen Mannes nicht zum Vorschein bringen, wenn man ihn loben will...
Je mehr man nun hierbey der Kürze zu folgen Ursache hat, desto sorgfältiger muß die Bemühung seyn, diejenigen Stücke und Eigenschaften vor allen andern anzuführen, welche unter den wesentlichen die vornehmsten, ja so gar demjenigen, den man loben will, besonders eigen sind. Der Verfasser des Briefs hat dieses nicht beobachtet. So muß er die | sonderbaren Vollkommenheiten des Herrn Hofcompositeurs entweder nicht eingesehen haben, oder ihm nicht die Ehre thun wollen, sie anzuführen. Jenes ist ein Kennzeichen seiner Unwissenheit, dieses seiner Misgunst gegen anderer Vortrefflichkeiten. Es sey nun dieses, oder jenes, so ist das von dem Herrn Hofcompositeur abgefaßte Urtheil nicht so musikalisch, als es seyn könnte und sollte*).

 

*) Wenn man sich Leser von gehöriger musikalischer Einsicht vorstellet, und wenn man dasjenige überdenket, was ich in vorhergehender Anmerkung erinnert habe: so wird uns das dem Herrn Bach ertheilte Lob nicht unvollkommen seyn. Es war in dem bedenklichen Briefe keinesweges meine Absicht, alle wesentliche Eigenschaften großer Organisten zu entwerfen, und sie mit dem Beyspiele des Herrn Bachens zu beweisen, noch weniger war ich gesonnen, einen weitläuftigen Lobredner abzugeben. Es war bloß eine zum Theil critische, zum Theil moralische Abschilderung verschiedener großen und eingebildeten Tonkünstler. Es war also genug, wenn ich zum Lobe eines jeden die Hauptsache anführte, ohne ihre wesentlichen Eigenschaften, oder Vollkommenheiten einzeln und nach einander her zu erzählen. Und so ist es auch meistentheils mit den Fehlern gehalten worden, wiewohl ich von diesen freylich etwas deutlicher habe reden müssen, weil man sie nicht so leicht, als das Lob, würde eingesehen und beurtheilet haben. Inzwischen so werden Leute, die der Musik kundig sind, die wesentlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten des Herrn Bachens aus meinem kurzen Entwurfe seines Lobes ganz ohne Mühe einsehen; blöde Leser, oder solche, die nichts von der Musik verstehen, würden sie ab er dennoch nicht eingesehen haben, wenn ich nicht alle in die Tonkunst laufende Redensarten zugleich erkläret hätte. Und welchen Weitläuftigkeiten wäre ich alsdenn nicht unterworfen gewesen? Daß nun endlich meine Abschilderung nicht nach dem Sinne eines Menschen ist, den die Welt weder nach seinen Verdiensten, noch nach seinen Tugenden kennet, dafür kann ich nicht, und es ist auch meine Absicht nicht gewesen, daß sie nach seinem Sinne hat seyn sollen. Lächerlich aber ist es nicht wenig, daß ein solcher Magister, zum Beweise, daß er nicht einmal die Vernunftlehre versteht, ausdrücklich vorgiebt: weil ich den Herrn Bach nicht so gelobet habe, wie es des tiefdenkenden Herrn Magisters Einsicht gemäß ist: so hätte ich weder gewußt, ihn gehörig zu loben, noch auch den Willen gehabt, solches zu thun.

 

Erlaubten meinem Gegner die unordent[l]ichen Affecten, die | ihn oft beunruhigen, ein gesundes Urtheil zu fällen; wäre sein Herz so redlich, als das meinige ist: er würde einen so geschickten und berühmten Mann, als der Herr Hofcompositeur ist, nach Verdiensten loben können, ohne sich von mir dazu erst eine Vorschrift ausbitten zu dörfen.
Die Beantwortung des ersten Theils meiner unparteyischen Anmerkungen hat das, in der bedenklichen Stelle, dem Herrn Hofcompositeur beygelegte, unvollkommene Lob, auf eine solche Art gerechtfertiget, daß die Merkmaale der unbescheidenen Tadelsucht meines Gegners dadurch nur desto kenntbarer worden sind... Ich habe mich im übrigen bereits oben genugsam erkläret; daß, und aus was Ursachen ich durch meine ganze Schrift mich gleicher Gelindigkeit und Höflichkeit habe bedienen wollen. Dieser Vorsatz ist auch nicht unerfüllt gelassen worden. Daher weis ich nicht, was mein Gegner mit den Worten sagen will, wenn er schreibet: „Anitzo, nämlich bey dem andern Theile, wird er mit einem größern Amtseifer sprechen, wenn er sich ärgert, daß mein Freund ein guter musikalischer Protestante ist, der an keinen musikalischen Pabst glaubet.“ Wo habe ich den Herrn Hofcompositeur zum musikalischen Pabst gemachet*)? Heißt das einen großen Meister der Musik zum Pabst machen, an den alle glauben sollen, wenn man auch vernünftige Gründe der Welt vor Augen leget, daß er die Fehler nicht an sich habe, die ihm unbefugte und | unbescheidene Tadler andichten? Mein Gegner kann dieses unmöglich im Ernste geschrieben haben. Er weis es ja selbst besser, was man zu thun habe, wenn man sich zum musikalischen Pabst aufwerfen will...

 

*) Damals, als er ihn allen andern großen Componisten u. Musikanten eigenmächtig vorgezogen, und ihn aller musikalischen Fehler frey gesprochen hat. Denn wer nichts über sich hat, und gar nicht fehlen kann, ist ja allerdings mit dem heiligen Vater zu vergleichen.

 

Ehe noch mein Gegner zur wirklichen Beantwortung des andern Theils meiner unparteyischen Anmerkungen schreitet, macht er, seiner Gewohnheit nach, wiederum eine vergebene Erinnerung. Er saget: „daß sein Briefsteller dem Herrn Capellmeister, als einem großen Meister auf dem Clavier und auf der Orgel keinesweges gewisse Fehler vorrücke, wohl aber demselbem, als einem Componisten, verschiedenes Unnatürliches zeige. Ich hätte also diesen Unterschied anmerken sollen, wenn ich aufrichtig und ordentlich verfahren wollen.“ Ich weis nicht, wo mein Gegner beydes, Augen und Gedanken, muß gehabt haben, daß er nicht gesehen, daß ich den verlangten Unterschied allerdings beobachtet habe. Ich sage ja ausdrücklich zu Ende der funfzehnten Seite, meiner Anmerkungen: er setzet anfänglich an den Bachischen Stücken etc. Ich habe mich zum wenigsten eben so deutlich darüber erkläret, als der kluge Briefsteller*). Die|ser, da er durch die eine Helfte der bedenklichen Stelle von nichts, als von der Geschicklichkeit des Herrn Hofcompositeurs auf der Orgel und dem Clavier, geredet hatte, verbindet die Betrachtungen, welche er über die Fehler seiner Composition anstellen will, mit dem vorhergehenden durch keinen andern, als mit diesen Worten: „Dieser große Mann würde die Bewunderung ganzer Nationen seyn, wenn er mehr Annehmlichkeit hätte, und wenn er nicht seinen Stücken etc.“ Sollte man wohl glauben, daß es möglich sey, daß ein vernünftiger Mensch seinen Lesern so handgreifliche Unwahrheiten aufdringen könne?

 

*) So eifrig der Herr Magister ist, diese Beschuldigung von sich abzulehnen, und so heftig er mich auch einen Lügner heißt: so | gegründet ist sie doch. Da er mit der Beurtheilung des Lobes fertig ist, spricht er nichts anders, als, ich veränderte auf einmal die Sprache, und finge an, den Herrn Bach zu tadeln. Aber er bemerket nicht, womit sich beydes Lob und Tadel (mit ihm einmal zu reden) eigentlich beschäfftiget, nämlich, daß jenes das Orgel- und Clavierspielen, dieses aber die componirten Stücke zum Gegenstande hatte.

 

Eben eine dergleichen offenbare Unwahrheit ist es auch, wenn mein Gegner aus denen nur angeführten Worten der bedenklichen Stelle, das stärkste Lob erzwingen will. Der darinnen jedermann vor Augen liegende stärkste Widerspruch überhebt mich der Mühe, solches weitläuftiger darzuthun. Zum wenigsten zweifle ich, ob selbst mein Gegner glauben würde, daß er aufs stärkste gelobet sey, wenn jemand also von ihm urtheilen wollte: der critische Musikus würde bey jedermann Beyfall finden, wenn er die Regeln der vernünftigen Critik besser beobachtete, und seinen Gedanken durch ein allzuspitziges Urtheil nicht die wahre Annehmlichkeit entzöge. Mit einem Worte, der Herr Hofcompositeur hat in der angezogenen Stelle des bedenklichen Briefs vielmehr auf das stärkste getadelt werden sollen. Mein Gegner bekräftiget das, was daselbst angeführet worden, in der Beantwortung mit mehrern. Er saget ausdrücklich: „daß der Herr Hofcompositeur in der Composition musikalischer Stücke gewisse und nicht geringe Fehler begehe.“ Er will so gar | die Grundursachen derselben auf das genaueste eingesehen haben. Diese aber sollen darinnen bestehen: „es habe sich dieser große Mann nicht sonderlich in denen Wissenschaften umgesehen, die eigentlich von einem großen Componisten erfordert werden. Er habe sich um critische Anmerkungen, Untersuchungen und um die Regeln der Redekunst und Dichtkunst, welche doch in der Musik so nothwendig wären, daß man ohne dieselben unmöglich rührend und ausdrückend setzen könne, nicht sonderlich bekümmert. Er denke daher weder natürlich, noch ordentlich.“
Mein Gegner ist im übrigen viel zu wenig, als daß er sich unterstehen darf, dem Herrn Hofcompositeur auf das unverschämteste vorzurücken, daß er sich in denen zur Composition nöthigen Wissenschaften nicht sonderlich umgesehen hätte. Wer die Ehre hat, den Herrn Hofcompositeur genauer zu kennen; wer sich das Vergnügen machet, mit unparteyisehern Augen und Ohren, als der critische Musikus, seine prakti|schen Arbeiten durchzusehen und anzuhören; der muß von seiner Einsicht ein weit billigers Urtheil fällen. Die Theile und Vortheile, welche die Ausarbeitung eines musikalischen Stücks mit der Rednerkunst gemein hat, kennet er so vollkommen, daß man ihn nicht nur mit einem ersättigenden Vergnügen höret, wenn er seine gründlichen Unterredungen auf die Aehnlichkeit und Uebereinstimmung beyder lenket; sondern man bewundert auch die geschickte Anwendung derselben, in seinen Arbeiten. Seine Einsicht in die Dichtkunst ist so gut, als man sie nur von einem großen Componisten verlangen kann. Denn, zu geschweigen, daß mein Gegner viel zu unvermögend ist, ihn eines Fehlers zu überführen, den er wider die Regeln derselben, in Setzung seiner Singestücken jemals begangen hat: so weis er über dieses ganz genau, welches Dichters Arbeit zur Composition geschickt sey, oder nicht*). Es ist ihm was Leichtes, die Ursachen dieses Unterschieds auf das gründlichste anzugeben. Daß endlich der Herr Hofcomposietur rührend, ausdrückend, natürlich, ordentlich, und nicht nach dem verderbten, sondern besten Geschmack setze, beweist insbesondere unwidersprechlich die von ihm verwichene Ostermesse vor unserer allerdurchlauchtigsten hohen Landesherrschaft bey Dero höchsten Anwesenheit in Leipzig öffentlich aufgeführte Abendmusik, welche mit durchgängigem Beyfall angenommen worden. Wer weis, ob der critische Musikant mit allen seinen critischen Anmerkungen und Untersuchungen, wie auch aller seiner eingebildeten Einsicht in die Tiefen der Weltweisheit, es hierinne dem Herrn Hofcompositeur gleich thun kann? Gewiß, so lange der erstere es dem letztern nicht gleich, geschweige denn | gar zuvor thun kann, geziemet ihm keinesweges, einen Meister der Musik, der größer und erfahrner ist, als er, auf eine so unbescheidene Art, eine noch nicht erwiesene, auch nimmermehr zu erweisende Ungeschicklichkeit vorzurücken.

 

*) Hierzu hat man nur eine Regel. Diese besteht darinnen, daß man untersuchet, welcher Dichter am besten gedacht hat. Fließende und liebliche Worte machen es nicht aus.

 

So sind denn die Grundursachen derer dem Herrn Hofcompositeur Schuld gegebenen Fehler eine nichtige Erfindung unartigen Gemüths, dessen vornehmste Beschäfftigung ist, Lästerungen mit Lästerungen zu häufen... Bey denen über die Annehmlichkeit angestellten Betrachtungen kann mein Gegner nicht begreifen, woher ich habe schließen können, daß in der bedenklichen Stelle, unter der Annehmlichkeit, eine Melodie, ohne Dissonanzen, verstanden würde. Ich will mich darüber ganz kurz erklären. So oft ich theils unmusikalische, theils eingebildete Musikverständige an den Bachischen Stücken habe den Mangel der Annehmlichkeit aussetzen hören, habe ich bemerket, daß dieselben eben den von mir voraus gesetzten falschen Begriff darunter verstanden haben. Da nun kein zulänglicher Grund, das Gegentheil zu vermuthen, vorhanden war: so glaubte ich, man hätte es in gedachter bedenklichen| Stelle mit dem hellen Haufen der Irrenden dießfalls halten wollen.
Worinnen aber der große Fehler bestehe, den ich dabey begangen haben soll, da ich mich über die aufhalte, welche, weil sie die Sache nicht besser verstehen, insgemein sagen: Die Bachischen Stücke fielen nicht ins Gehör, ist mir bis dato unbegreiflich. Es führet zwar mein Gegner zur Rechtfertigung dieser Beschuldigung folgendes an: „Es sey ja allemal eine sichere Wirkung der Annehmlichkeit, wenn die Musik ins Gehöre falle, und keine Musik könne angenehm seyn, ohne ins Gehöre zu fallen. Es sey sogar der erste Endzweck der Musik, daß sie das Gehör vergnüge.“ Das alles hat seine Richtigkeit. Ob man aber deßwegen eben alles nach dem Gehöre beurtheilen müsse, ist eine andere Frage. Ich habe nicht nöthig, darauf zu antworten. Mein Gegner hat es anderwärts selbst gethan, und mich zugleich zum Voraus, wider Wissen und Willen, vertreten, wenn er spricht: „Man bekümmert sich insgemein am wenigsten um die Ursache, wenn einer Musik der Nachdruck mangelt. Man | urtheilet allzuviel nach dem Gehöre. Es ist aber nicht alles schön, was diesem betrüglichen Sinne schön zu seyn dünket. Der Verstand muß insonderheit urtheilen. Ein musikalisches Stück muß nicht nur schön seyn, weil es das Ohr kützelt; sondern auch, und zwar vornehmlich, weil es dem Verstande gefällt. Es kann sogar ganz voller Fehler seyn, wenn es auch noch so wohl klingt.“ Ich habe also selbst nach dem Geständnisse meines Gegners Ursache gehabt, mich über diejenigen aufzuhalten, welche von den Stücken des Herrn Hofcompositeurs nach einem allzusinnlich und zär[t]lich verwöhnten Gehör urtheilen; dabey aber ihren Verstand keineswegs auf die darinnen befindlichen seltenen Erfindungen, ordentlichen und regelmäßigen Ausarbeitungen, rührende und der Sache gemäße Ausdrückungen, und alles andere, was man nur bey der Musik schön nennen kann, mit einigem Nachsinnen richten wollen und können.

 

Mein Gegner glaubt endlich, daß nicht alle Melodien schlecht und verdrüßlich sind, die zu ihrer Begleitung keine oder doch wenige Dissonanzen erfordern, ... Ich glaube hingegen, daß eine Melodie ohne Dissonanzen aus der Ursache müsse verdrüßlich seyn, weil die, zu ihrer Annehmlichkeit nöthige, Veränderung der Intervallen in allzuenge Schranken eingeschlossen wird . .| . Sollten im übrigen die dissonirenden Reichthümer des Herrn Hofcompositeurs allezeit durch eine so geschickte und geübte Capelle ausgetheilet werden, als die consonirenden des Herrn Capellmeister Hassens; vielleicht rührten jene eben so annehmlich, als diese.
Wenn denn nun dem Herrn Hofcompositeur der Mangel der Annehmlichkeit in seinen Stücken vorgeworfen wird: so soll selbiger daher rühren, weil sie allzuchromatisch und dissonirend, auch die dissonirenden Sätze nicht am rechten Orte | angebracht wären. Das erstere giebt ihm mein Gegner ausdrücklich schuld; das andere kann man aus dem vorhergehenden leichtlich schließen: beydes aber ist bis dato noch nicht erwiesen, und daher eine falsche Beschuldigung. Gesetzt aber, es wäre dem also; so wundere ich mich billig, wie mein Gegner das an dem Herrn Hofcompositeur zu tadeln sich unterstehen kann, was er doch selbst thut. ...
Ich komme nunmehr auf das, was man in den Stücken des Herrn Hofcompositeurs schwülstig nennen will. Hier hält sich gleich anfangs mein Gegner über den Begriff auf, den ich von dem Schwülstigen in der Schreibart vorauszusetzen vor nöthig befunden habe. .|..Ob aber das, was nach den Begriffen meines Gegners schwülstig ist, von den Stücken des Herrn Hofcompositeurs mit Recht könne gesaget werden, davon werde ich bey den folgenden Stellen der Beantwortung zu reden Gelegenheit haben, als woselbst die darzu gehörigen Begriffe einzeln und besonders nochmals angeführet werden. So lange aber nicht erwiesen ist, daß die Schreibart des Herrn Hofcompositeurs in seinen Stücken schwülstig ist: so lange bleibt die zwischen ihm und dem Herrn von Lohenstein in Ansehung dieses Umstandes angestellte Vergleichung abgeschmackt und erzwungen, und gehört daher allerdings unter die verwerflichen Zierrathen des Ausdruckes der Gedanken.

 

Zum Schwülstigen rechnet mein Gegner das Verworrene, und beschuldiget aufs neue den Herrn Hofcompositeur und dessen musikalische Arbeiten dieses Fehlers. Da ich denselben in der bedenklichen Stelle unter andern Fehlern, so den Bachischen Stücken beygemessen worden, antraf, und in meinen Anmerkungen ablehnen wollte, war wohl der ordentlichste Weg, die Untersuchung von der Beschreibung dessen, was man sowohl verworren überhaupt, als auch insbesondere in der Musik nennen könnte, anzufangen. Nach dieser fragte ich also vor allen Dingen mit folgenden Worten: Was heißt in der Musik verworren? Hieraus urtheilet nun mein Gegner nach seiner gewöhnlichen Art falsch zu schließen: ich hätte nicht gewußt, welche Bedeutung das Wort, verworren, hätte. ... In den Gedanken meines Gegners mögte solches, seiner dawider gemachten Einwendungen ungeachtet, wohl eher anzutreffen seyn: wenn er wider die sonnenklare Wahrheit in den Stücken des Herrn Hofcompositeurs keine Hauptstimme unterscheiden kann, und | in derselben nichts als ein fremdes undeutliches, unvernehmliches und unbequemes Geräusche will vernommen haben. Der erste Punct der auf die Bachische Composition gezogenen Beschreibung des Verworrenen, soll bald mit mehrerm untersucht, und dessen Ungrund gezeiget werden. Was aber den andern Punct betrifft: so muß gewiß das Gehör meines Gegners nicht musikalisch gewesen seyn, da er bey einer richtigen Execution der Bachischen Stücke, ein fremdes, undeutliches, unvernehmliches und unbequemes Geräusche will vernommen haben. Hat es aber an einer tüchtigen Execution gefehlet, und hat deren Mangel zu einigen Unordnungen und Uebelklang derselben Anlaß gegeben: so muß sein Verstand nicht musikalisch, oder vielmehr überhaupt nicht geschickt zu einem reifen Urtheil gewesen seyn, wenn er einen von denen Musicirenden begangenen Fehler dem Herrn Hofcompositeur sogleich zuzurechnen kein Bedenken trägt ..|. Allein urtheilt man von der Composition eines Stücks nicht am ersten und meisten nach dem, wie man es bey der Aufführung befindet. Soll aber dieses Urtheil, welches allerdings betrieglich seyn kann, nicht in Betrachtung gezogen werden: so sehe ich keinen andern Weg davon ein Urtheil zu fällen, als man muß die Arbeit, wie sie in Noten gesetzt ist, ansehen. Wenn denn der so genannte Freund meines Gegners, oder mein Gegner selbst, auf diese Art die Bachischen Stücke, mit gnugsamer Aufmerksamkeit betrachtet hat, und in denselben doch keine Hauptstimme unter schieden, noch zum Voraus ersehen kann, daß, wenn sie gehörig aufgeführt werden, sie nichtsweniger als ein fremdes und unvernehmliches Geräusche verursachen würden: so muß ich fast zweifeln, ob er die Regeln und Theile der Composition so kenne, daß er den Namen eines Componisten so gut, als ein anderer, verdiene.
So herrscht denn in den Stücken des Herrn Hofcompositeurs weder das Schwülstige noch das Verworrene. Und das Natürliche mangelt ihnen auch nicht, da auch die größte Kunst, welche der Herr Hofcompositeur dabey anwendet, von allem verhaßten Zwange weit entfernet ist. Ich habe den Beweis davon in meinen Anmerkungen zur Genüge geführet. Die dawider gemachten Einwendungen treffen nicht einmal meine daselbst angeführten Gründe, geschweige, daß sie vermögend seyn sollten, dieselben gänzlich über den Haufen zu werfen.
Daß im übrigen eine solche Kunst, wie sie der Herr Hofcompositeur, bey Setzung seiner musikalischen Arbeiten, anwendet, ihnen das Natürliche nicht entziehe, fließet aus denenjenigen Betrachtungen, in welchen selbige wider die Vorwürfe des Schwülstigen, Verworrenen und Unannehmliche sattsam sind vertheidiget worden. Wie sie aber mein Gegner wider die vielleicht mehr gegründeten Beschuldigungen dererjenigen wird verantworten können, welche von seiner im vorigen Winter in Noten gesetzten Oper, öffentlich versichert haben: sie sey so künstlich gewesen, daß sie kaum habe gesungen und | gespielet werden können, weis ich nicht. Nunmehr sieht man mehr als zu deutlich: er hielt die allzugroße Kunst für keinen Fehler. Er ist nur eifersüchtig über die, so es ihm, seiner Meynung nach, etwan gleich, oder gar zuvor thun können. Allein, er hat nicht nöthig, diese so heftige Gemüthsbewegung sich überwältigen zu Iassen. Man misgönnt ihm die Ehre des Vorzugs nicht. Der Herr Hofcompositeur zum wenigsten, hat sich in dergleichen allzugroßer Kunst so hoch noch nicht verstiegen, daß er mit ihm um die Ehre des Vorzugs streiten könnte, oder wollte.
Die Unartigkeit meines Gegners, durch Häufung ungegründeter Beschuldigungen, Ehre und Wahrheit zu beleidigen, wird immer kenntlicher. Er beschuldiget den Herrn Hofcompositeur: „daß er, bey Setzung seiner Stücken, so wohl die Verschiedenheit der Instrumente, als auch die Kehlen der Sänger, schlechterdings nach dem Clavier und nach seiner Geschicklichkeit, dieses Instrument zu spielen, beurtheile, da er doch vielmehr auf die Natur eines jeden Instruments und einer jeden Singestimme, als auf die Stärke eines einzigen Instruments, sehen sollte.“ Sollte sich wohl mein Gegner Hoffnung machen können, jemand zu bereden; daß ein so geübter und erfahrner Componist, als der Herr Hofcompositeur ist, die verschiedenen Naturen der Instrumente und Singestimmen, ingleichen deren Unterschied vom Clavier nicht besser kennte? Gewiß, die Hoffnung wird vergebens seyn*). Es ist weder zu vermuthen, noch zu er|weisen. Er setzt der Natur derselben allemal gemäß. Zuweilen aber giebt er nur den Instrumentalisten und Sängern Gelegenheit, sich etwas mehr, als gewöhnlich, anzugreifen, um etwas heraus zu bringen, welches sie anfänglich für unmöglich halten, weil sie es nicht versucht haben. Es ist aber solches deswegen der Natur verschiedener Singestimmen, oder eines und des andern Instruments nicht zuwider. Die Erfahrung hat gelehret: daß das Unmöglichscheinende möglich worden, wenn Fleiß, Geschicklichkeit und Uebung alle Schwierigkeiten glücklich überwunden haben. Ja dieses ist sehr oft ein sicheres Mittel gewesen, beydes, Sänger und Instrumentalisten geschickter und vollkommener zu machen. Auf diese Art handelt der Herr Hofcompositeur ganz recht, wenn er bey Setzung seiner Stücken, gewissermaßen nach seiner Geschicklichkeit, auf dem Clavier zu spielen, urtheilet. Und an Seiten meiner ist dieses noch kein tüchtiger Beweisgrund einer mir vorgeworfenen Unwissenheit in der Musik, daß ich dieses Urtheil billige. Denn hat der Herr Hofcompositeur durch Fleiß und Uebung, Gänge, Sprünge und Veränderungen der Intervallen auf dem Clavier herausbringen können, die nicht nur in vorigen Zeiten, sondern so gar noch itzo manchen wahren und eingebildeten Virtuosen, oder, weil es mein Gegner lieber höret, Musikanten unmöglich vorkommen mögten: so kann es andern Instrumentalisten und Sängern auch möglich seyn, ihm hierinne nachzufolgen, und mit ihren Instrumenten und Stimmen etwas mehr, als man bisher zu hören gewohnt gewesen, zu leisten. Allein, es ist weder dem Herrn Hofcompositeur, noch mir in Sinn gekommen, ganz und gar unmögliche Dinge zu verlangen. Und mein Gegner mag sich, zu Beschönigung einer in der That falschen Beschuldigung, auf die meisten und künstlichsten Stücken des Herrn Hofcompositeurs berufen, wie er will; er wird kein einziges zu nennen wissen, in dem auch die schwer|sten Stellen ganz und gar nicht sollten können herausgebracht werden. Freylich erfordern dergleichen Stücke Virtuosen zu ihrer Aufführung. Und eben dieses giebt meinem Gegner Gelegenheit zu einer neuen, wiewohl gleichfalls falschen, Beschuldigung. Der Herr Hofcompositeur setzet, nach seiner Meynung, nicht mit gehöriger Behutsamkeit. Er setzt nur für große Virtuosen, und überlegt dabey nicht, daß man in einem musikalischen Chore niemals lauter Virtuosen antreffe. Ich sollte meynen, daß dieser letztere Satz in wohl eingerichteten Capellen, auch so gar unter einigen so genannten Banden der Musikanten, eine starke Ausnahme lidte. Allein, da freylich der Herr Hofcompositeur so glücklich nicht ist, seine Stücke allezeit lauter Virtuosen vorlegen zu können, so bemüht er sich doch zum wenigsten, theils, die es noch nicht sind, durch Angewöhnung an etwas schwere Stücke, dazu zu machen: theils bedient er sich, wo dieses nicht möglich ist, allerdings der nöthigen Behutsamkeit, seine Arbeit nach der Fähigkeit derer, die sie aufführen sollen, einzurichten.

 

*) Herr Birnbaum hat in seiner ersten Schrift ausdrücklich behauptet, es wäre allerdings recht, Singestimmen und andere Instrumente nach dem Claviere zu beurtheilen, und dasjenige von jenen zu verlangen, was auf diesem heraus zu bringen ist. Ich habe ihm dießfalls in der Beantwortung gezeiget, wie ungegründet diese Meynung ist. Dieses wird mir aber nicht zu erweisen | seyn, ich hätte dem Herrn Bach vorgeworfen, er kenne die Natur der Instrumente und Singestimmen nicht. Ein anders ist es, die Natur derselben nicht zu beobachten.

 

Bey dieser Gelegenheit sollte ich eine von mir angehengte Erinnerung, die mein Gegner wiederum für eine zur Sache nicht gehörige Ausschweifung ausgiebt, vertheidigen, und darthun, daß solche allerdings zur Sache gehöre, und aus den Worten der bedenklichen Stelle fließe. Allein, es ist nicht der Mühe werth, sich dabey aufzuhalten. Ein jeder wird, ohne mühsames Nachdenken, finden, daß gedachte Erinnerung aus dem Begriff, von der vorgeschützten Unmöglichkeit, die bachischen Stücke spielen zu können, richtig fließe, und daß das Gleichniß, vom Kriegsheere, zur Erleuterung meiner daselbst ausgeführten Sätze unumgänglich nöthig gewesen sey ... |
... Dahin gehöret unter andern der ungegründete Vorwurf, daß ich aus den Worten der bedenklichen Stelle: „Alle Manieren, alle kleine Auszierungen, und alles, was man unter Methode zu spielen verstehet, drücket er mit eigentlichen Noten aus, geschlossen haben soll: der Verfasser dieser Stelle hielte den Herrn Hofcompositeur für den einzigen, der also setzte, daß ich also jenem eine Unwissenheit durch eine falsche Auslegung angedichtet hätte.“ Habe ich denn in meinen Anmerkungen schlechterdings also geschlossen? der von mir daselbst angebrachte Schluß ist ja disjunctivisch abgefaßt, und ich subsumire daraus bedingungsweise. Meine Worte sind diese: „entweder merkt der Verfasser dieses an, als etwas, das dem Herrn Hofcompositeur allein eigen seyn soll, oder er hält es für einen Fehler überhaupt. Ist das erste, so irret er sich.“
... Mein Gegner hat indessen sich nochmalen deutlich erkläret, daß er die Mühe, welche man sich giebt, die Methode zu spielen, mit eigentlichen Noten auszudrücken, für einen Fehler überhaupt halte ..|. Er beruft sich ferner auf einige musikalische Skribenten...
Mein Gegner verbannet ebenfalls, mit diesen musikalischen Scribenten die Manieren gänzlich aus den Mittelstimmen; in den Hauptstimmen läßt er etwas weniges davon zu; nur will er nicht, daß alle kleine Vorschläge, Accente, Läufer, und wie sie Namen haben mögen, weder in die Haupt- noch Nebenstimme, sollen gesetzt werden. Mit einem Worte, er verwirft den Misbrauch. Den misbilliget auch der Herr Hofcompositeur [nicht], und also wird mein Gegner nimmermehr erweisen können, daß er darinnen der Sache zu viel thue. Scheinet es auch, als wenn er dießfalls etwas mehr thäte, als man sonst insgemein zu thun gewohnt ist: so habe ich bereits in meinen Anmerkungen die Ursachen angezeiget, die ihn darzu berechtigen, und welche mein Gegner stillschweigend zugestanden hat. Und da ich in meinen Anmerkungen den Ausdruck der Manieren, nach dem Sinn und Meynung des Herrn Hofcompositeurs, | nur um der unerfahrnen und ungeschickten Sänger und Instrumentalisten willen, gebilliget habe; auch sich daselbst ausdrücklich erkläret; daß, wenn alle dergleichen Personen die Methode ohne Vorschrift recht zu gebrauchen wüßten, es allerdings eine vergebene Sache seyn würde, ihnen das noch einmal vorzuschreiben, was sie schon wissen: so hätte mein Gegner gar leicht daher schließen, ja so gar mit Augen sehen können, daß dieses alles große Sänger und Instrumentalisten nichts angehe...
Bey der Ausfürung des, dem Herrn Hofcompositeur beygemessenen Fehlers, „daß in seinen Stücken alle Stimmen mit gleicher Schwierigkeit arbeiteten, und man darunter keine Hauptstimme erkennen könnte;“ hält mein Gegner die von mir angeführte Erklärung des Worts, Hauptstimme, daß darunter die Oberstimme verstanden werde, für eine falsche Auslegung...
... da itzo fast alles bey der Musik, nach dem italienischen Geschmack beurtheilet werden will, nach der Gewohnheit aber der Componisten dieser Nation... die Hauptstimme... mehrentheils die Oberstimme ist; und aber der Verfasser dieser Stelle in seinem Briefe deutliche Spuren hinterlassen hat, daß er denen, die nach italienischem Geschmack setzen, einen merklichen Vorzug vor andern zugestehe: so schiene es so gar unwahrscheinlich nicht zu seyn, daß er durch die Worte: man könne in den bachischen Stücken keine Hauptstimme erkennen, den Mangel dieser italienischen Vollkommenheit, das ist, der Oberstimme, habe bemerken wollen.
Alle Stimmen sollen und können demnach, nach der Meynung meines Gegners, nicht mit gleicher Arbeitsamkeit fortgehen. Und er bleibt dabey, daß das Gegentheil davon ein Fehler der Stücke des Herrn Hofcompositeurs sey. Allein man kann dieses nicht, ohne Unterschied, von allen und jeden Stücken dieses großen Meisters der Musik sagen. Man wird unter denen nicht so gar vollstimmigen sehr viele finden, in welchen die Stimmen, so insonderheit nicht hervorragen sollen, ohnerachtet sie niemals ohne Arbeit sind, dennoch bey weiten nicht so stark arbeiten, als diejenigen, welche die Hauptstimmen vorstellen. Bey denen vollkommen vollstimmigen aber mögte man noch vielleicht mehrere antreffen, in denen man ein durchgängiges gleiches Arbeiten aller Stimmen bewundern muß. In wie ferne es aber die Vernunft gebe, daß dieses nicht möglich sey, ist noch bis dato unerwiesen. Den Eigenschaften der guten Schreibart ist es auch nicht zuwider, denn dadurch wird das Prächtige, Erhabene und Nachdrückliche in der Musik gehörig ausgedruckt. Eräußern sich aber dabey unvernehmliche Worte, eine undeutliche Melodie, wie auch eine unreine und widerwärtige Harmonie: so geschieht solches zufälliger Weise, und ist, wie schon mehrmal angemerket worden, ein Fehler bloß der Aufführenden, nicht dessen, der also setzet. Mithin weis ich nicht, warum man etwas mit einem so strengen Tadel belegt, was vielmehr deswegen eines nicht geringen Lobes werth ist, da es von dem Fleiß und der Arbeit zeuget, welche der Herr Hofcompositeur, bey Setzung seiner Stücken anwendet.
Die Vertheidigung meiner Anmerkungen geht nunmehr mit der Beantwortung meines Gegners zu Ende. Ich erwähle nochmals alle vernünftige und gründliche musikverständige Leser zu Richtern. Sie mögen den Ausspruch thun, ob nicht die so wohl in der bedenklichen Stelle angegebenen, als auch in der Beantwortung weiter ausgeführten Beschuldigungen falsch und ungegründet sind. Ob, da ich die dem Herrn Hofcompositeur beygemessenen Fehler habe rechtfertigen wollen, ich dieselben bekräftiget, und diesen großen Mann dadurch am meisten beschimpft habe? Ob in meinen Anmerkungen eine Sylbe anzutreffen sey, welche zu Krän-|kung des Ehransehens des Herrn Hofcompositeurs gereichen könnte? Ob nicht vielmehr mein Gegner ins besondere in der Beantwortung so wohl der Ehre des Herrn Hofcompositeurs, als auch der meinigen, aufs empfindlichste zu nahe getreten sey? Ob ich alle andere große Meister der Musik angegriffen habe, da ich das Urtheil dererjenigen gebilliget, welche den Herrn Hofcompositeur in den Vollkommenheiten, die ihm besonders eigen sind, über andere erhoben? Ob endlich meine Urtheile dem Verstande und Zusammenhange der Worte der bedenklichen Stelle gemäß, imgleichen nach dem guten Geschmacke in der Musik eingerichtet sind, oder nicht? ..|. Und ich trage kein Bedenken, ihm frey und öffentlich unter Augen zu sagen: er sey derjenige noch lange nicht, der Recht und Geschicklichkeit habe, einen großen Componisten zu tadeln, dessen ausnehmende Geschicklichkeit und außerordentliche Erfahrung in der Musik, seinem eigenen Geständniß nach, der größten Verehrung würdig sind, und an dem Deutschland einen Mann besitzt, dessen Ruhm auch bey den Ausländern in der größten Hochachtung stehet...
Mein Gegner wünschet endlich dem Herrn Hofcompositeur einen geschicktern Vertheidiger. Diesen Wunsch lasse | ich mir mit vielem Vergnügen gefallen, ohnerachtet mir selbiger einigermaßen nachtheilig zu seyn scheinet. Er wünscht ihm einen Vertheidiger. Er giebt dadurch deutlich genug zu erkennen, daß er dem Herrn Hofcompositeur unrecht gethan habe, und vielleicht noch künftig thun wolle: sonst würde er ihm nicht etwas wünschen, dessen man nur bey gekränkter Unschuld nöthig hat. Er wünscht ihm einen geschicktern Vertheidiger. Und eben das wünsche ich selbst. Denn da ich mir die Mühe weiter nicht geben werde, mich mit einem Menschen einzulassen, der noch nicht gelernet hat, wie er mit bescheidenen Gegnern verfahren soll, zumal, da des Herrn Hofcompositeurs unleugbare und weltbekannte Vollkommenheiten wider nichtige Einwendungen keine weitere Vertheidigung von meiner Seite brauchen: so wünsche ich doch, im Fall mein Gegner sich weiter regen, und Unhöflichkeiten mit Unhöflichkeiten häufen wollte, dem Herrn Hofcompositeur gleichfalls einen geschicktern Vertheidiger, der weil es ein unbesonnener Tadler nicht anders haben will, zu unhöflichen und empfindlichen Ausdrückungen besser, als ich, aufgelegt ist.

 

Quelle: Bach-Dokumente, Band 2, Nr. 441