1738, 24. Mai (Leipzig): Brief an Johann Friedrich Klemm in Sangerhausen

Zum Kalendarium

HochEdler etc.

Hochgeehrtester Herr Klemm etc.

 

Eu: HochEdlen werden nicht ungütig nehmen, daß Dero geehrteste Zuschrifft wegen Abwesenheit nicht ehe weder itzo beantworten können, weiln erstlich vor zwey Tagen von Dreßden retourniret. Mit was Schmerzen und Wehmuth aber diese Antwort abfaße, können Eu: HochEdlen von selbsten als ein Liebreich- und wohlmeynender Vater Dero Liebsten EhePfänder beurtheilen. Meinen (leider mißrathenen) Sohn habe seit vorm Jahre, da die Ehre hatte von Eu: HochEdlen viele Höfligkeiten zu genießen, nicht mit einem Auge wieder gesehen. Eu: HochEdlen ist auch nicht unwißend, daß damahln vor selbigen nicht alleine den Tisch, sondern auch den Mühlhäuser Wechsel (so seinen Auszug vermuthlich damahlen causirete) richtig bezahlet, sondern auch noch einige Ducaten zu Tilgung einiger Schulden zurück ließ, in Meynung nunmehro ein ander genus vitœ zu ergreiffen. Ich muß aber mit äußerster Bestürtzung abermahligst vernehmen, daß er wieder hie und da aufgeborget, seine LebensArth nicht im geringsten geändert, sondern sich gar absentiret und mir nicht den geringsten part seines Aufenthalts biß data wißend gemacht. Waß soll ich mehr sagen oder thun? Da keine Vermahnung, ja gar keine liebreiche Vorsorge und assistence mehr zureichen | will, so muß mein Creütz in Gedult tragen, meinen ungerathenen Sohn aber lediglich Göttlicher Barrnhertzigkeit überlaßen, nicht zweiflend, Dieselbe werde mein wehmüthiges Flehen erhören, und endlich nach seinem heiligen Willen an selbigem arbeiten, daß er lerne erkennen, wie die Bekehrung einig und allein Göttlicher Güte zuzuschreiben. Da nun Eu: HochEdlen mich expectoriret, als habe das zuversichtliche Vertrauen, Dieselben werden die üble Aufführung meines Kindes nicht mir imputiren, sondern überzeüget seyn, daß ein getreüer Vater, dem seine Kinder ans Hertze gehen, alles suche zu bewerckstelligen, um Deroselben Wohl befördern zu helffen: Welches mich auch veranlaßet, bey damahliger Dero vacance Ihnen selbigen bestens zu empfehlen, in Hoffnung, die Sangerhäuser civilisirtere LebensArth u. die vornehmen Gönner würden Ihn gleichmäßig zu anderer Aufführung bewegen, Derowegen auch nochmahlen gegen Eu: HochEdlen als dem Urheber seiner Beförderung hiemit meinen schuldigsten Danck abstatte, auch nicht zweifle, Eu: HochEdlen werden nur in so lange Eu: HochEdlen Rath suchen zu disponiren mit der gedroheten mutation zu verzögern, biß ausfündig zu machen ist, wo er sich aufhalte: (Gott ist mein | allwißender Zeüge, daß ihn seit vorm Jahre nicht wieder zu sehen bekommen:) Um zu vernehmen, was er gesonnen fernerhin zu thun? Zu bleiben, u. seine LebensArth zu ändern? oder sein fortun anderwerts zu suchen? Ich will nicht gerne, daß Eu: HochEdler Rath mit selbigem soll belastiget seyn, sondern nur noch so viel patience mir ausbitten, biß er wieder zum Vorscheine komme, oder man sonsten erfahren könne, wohin er sich gewendet. Da auch verschiedene creditores sich bey mir gemeldet, ich aber ohne meines Sohnes mündliche oder schrifftliche Geständniß zu derenselben Zahlung nicht wohl verstehen kan (wie in allen Rechten gegründet) als ersuche Eu: HochEdlen gantz dienstlich, daß Dieselben die Gütigkeit haben u. genaue Erkundigung seines Aufenthalts einziehen u. mir so dann sichere Nachricht zu ertheilen belieben mögen, um so dann die letzte Hand anzulegen, u. zu versuchen ob unter Göttlichem Beystand das verstockte Hertz gewonnen u. zur Erkändniß gebracht werden könne. Da Er auch bißhero das Glück gehabt bey Eu: HochEdlen zu logieren, als will mir zugleich ausbitten mich zu benachrichtigen, ob er seine wenige meublen mit genommen, oder was noch von denenselben vorhanden. In Erwartung baldigster Antwort, auch anwünschung vergnügterer Ferien weder ich haben werde, beharre nebst gehorsamsten Empfehl an Dero Frau Gemahlin

Eu: HochEdlen

Leipzig. den 24. May.                                                                                                   gantz ergebenster Diener

                       1738.                                                                                                                                  Joh. Seb. Bach

 

Herrn

Herrn Klemm

Eu: HochEdlen auch Hochweisen Raths

vornehmen Mitgliede; wie auch

bestrenommirten Kauff- und Han-

delsmann

in

Francò.                               Sangerhausen

 

Quelle: Bach-Dokumente, Band 1, Nr. 42