1717, 17. Dezember (Leipzig): J.S. Bachs Gutachten über die Orgel der Paulinerkirche in Leipzig

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     Da auf Verlangen Ihrer HochEdlen Magnificenz Herrn D. Rechenbergs, der Zeit Rectoris Magnifici bey der Hochlöblichen Academie zu Leipzig die Untersuchung des theils neu   
     verfertigten, theils reparirten Orgelwercks in der Pauliner Kirche auf mich genommen, so habe solches nach Möglichkeit bewerckstelliget, die etwanigen defecta remarquiret und
     überhaupt vom gantzen Orgelbau folgendes ausfertigen wollen, als:

1.) Die gantze Structur anlangend, ist freylich nicht zu läugnen, daß solche sehr enge gefast, und daher schwerlich iedem Stücke beyzukommen, so sich etwan mit der Zeit einiges zu
     repariren finden solte, solches excusiret nun Herr Scheibe als Verfertiger schon berührter Orgel damit, daß vors erste das Orgelgehäuße von ihme nicht verfertiget, und er also, so gut
      es immer sich hätte wollen thun laßen, mit dem Eingebäude nach selbigen sich richten müßen, vors andere man Ihme den noch verlangten Raum, um die Structur commoder
      einzurichten, gar nicht gestatten wollen.

2.) Die gewöhnlichen Hauptpartes einer Orgel, als Windladen, Bälge, Pfeiffen, Wellen-Breter und übrigen Stücke sind mit gutem Fleiße verfertiget, und ist dabey nichts zu errinnern, als
      daß der Wind durchgehends œqualer gemacht werden muß, damit dem etwanigen Windstoßen abgeholfen werden möge, die Wellen Breter solten zwar in Rahmen gefaßet seyn, um
      alles Geheule bey schlimmen Witterungen zu vermeiden, da Herr Scheibe aber nach seiner Arth solche mit Tafeln verfertiget, und dabey versichert, daß solche eben das thäten, was
      die mit Rahmen sonst thun müsten, so hat man solches passiren laßen.

3.) Die in der Disposition so wohl, als sämtlichen Contracten berührten Stücke sind so wohl qualitate als quantitate befindlich, außer 2 Rohrwercke, nehmlich Schallmey 4. Fuß und
      Cornet 2. Fuß, welche vermöge eines Hochlöblichen Collegii Befehl haben unterbleiben müßen, an derer Statt aber die Octava 2. Fuß im Brustwerck, und dann die Hohlflöte 2. Fuß im
      Hinterwerck beygebracht worden.

4.) Die etwanigen defecta, so sich wegen der inœqualitate der Intonation gezeiget, müßen und können so fort von dem Orgelmacher verbeßert werden, als nehmlichen, daß die tiefesten
       Pfeiffen im Posaunen und Trompeten-Bass nicht so graß und blatterend ansprechen, sondern einen reinen und firmen Thon angeben und behalten, und dann die übrigen Pfeiffen so
       inœqual, fleißig corrigiret und zur Gleichheit gebracht werden, welches denn vermittelst nochmahliger Durchstimmung des gantzen Wercks und zwar bey beßerer Witterung, als
       vorietzo, gar füglich geschehen kan.

5.) Die Tractirung des Wercks sollte zwar etwas leichter seyn und die Clavire nicht so tief fallen, weilen aber vermittelst der gar zu engen Structur solches nicht anders hat seyn können,
      so muß man dißfalls es gelten laßen, iedoch ist es noch so zu spielen, daß man eines Stecken Bleibens im Spielen sich nicht zu befürchten.

6 ) Weilen auch der Orgelmacher eine neue BrustWindlade noch über die Contracte hat verfertigen müßen, indem die alte Windlade, so statt der neuen hat kommen sollen, vors erste
      mit einem Fundament Brete, und also falsch und verwerflich; zweytens auch in solcher nach der alten Art die kurtze Octave noch befindlich, und die übrigen Claves so noch fehlen,
      nicht haben angebracht werden, und dadurch alle 3. Claviere zur Gleichheit kommen können, sondern vielmehr eine deformitè verursachet hätten, so ist höchstnöthig geweßen, daß
      eine neue verfertiget, die besorgenden baldigen Defecta vermieden, und eine schöne conformitè beybehalten worden: sind also ohne mein Erinnern dem Orgelmacher die über die
     Contracte noch neu verfertigten Stücke zu verguten, und er also schadloß zu halten.

     Weiln auch der Orgelmacher mich ersuchet Einem Hochlöblichen Collegio vorstellig zu machen, wie daß man solche Stücke so ihme nicht veraccordiret, als nehmlich die Bildhauer-
     Arbeit, das Vergulden, item die Espeçen, so der Herr Vetter pro inspectione bekommen, und was etwa sonst noch seyn möchte, zur Bezahlung anrechnen wollen, und er doch solches
     nicht schuldig zu thun, auch sonst | niemahls gebräuchlich geweßen (Er sich sonst wohl beßer würde prospiciret haben) so läßet er gantz gehorsamst bitten ihn dieserwegen
     gleichfals in keine Unkosten zu bringen.
     Nun kan schließlichen nicht ohnerinnert laßen, daß 1.) das Fenster, so weit es nehmlich hinter der Orgel in die Höhe steiget vermittelst einer kleinen Mauer, oder eines starck eisernen
     Bleches von inwendig verwahret, und dadurch der noch mehr zu besorgende Wetter-Schade verhütet werden möchte. 2.) ist gewöhnlich und höchstnöthig, daß der Orgelmacher ein
     Jahr wenigstens die Gewähre leiste, um die etwa sich noch ereignenden Mängel völlig abzuthun, welches er auch willigst über sich nehmen dürfte, daferne man ihme nur zu baldigster
     und völligster Satisfaction seiner noch über die Contracte aufgewendeten Kosten beförderlich sein würde.
     Dieses wäre also dasienige, so bey Untersuchung der Orgel zu remarquiren vor nöthig gefunden, mich fernerhin Ihrer HochEdlen Magnificenz dem Herrn D. Rechenberg, und sämtlichen
     Hochlöblichen Collegio zu allen möglichen gefälligen Diensten bestens recommendirend und verharrend

Dero

Leipzig. den 17. Decembr.

anno 1717.

gehorsamst-ergebenster
                        
Joh: Seb: Bach.

                       Hochfürstlich Anhalt-Cöthenscher

                     Capellmeister. etc.

 

Disposition der Orgel der Paulinerkirche in Leipzig

 

 

I. Zu dem mittelsten Clavier als dem

Haupt-Werck

1. Groß-Principal von reinem

Berg-Zinn im Gesichte  16. Fuß

2. Groß-Quinta-Tön                       16. „

3. Klein Principal                             8. „

4. Schalmo von Holtz                    8. „

5. Fleute Allemande                       8.

6. Gems-Horn                                   8. „

7. Octav                                                4. „

8. Quinta                                             3.

9. Quint-Nassat                               3.

10. Octavina                                       2. „

11. Wald-Flöt                                     2. „

12. Große Mixtur 5. und 6.fach

13. Cornetti von 3. Pfeiffen

14. Zinck 2.Pfeiffen starck

 

II. Zu dem obersten Clavier und Brust-

Werck.

1.Principal von reinem Berg-

Zinn im Gesichte                             8. Fuß

2. Viol di Gamb naturell                8. „

3. Grob getackt weiter Mensur   8. „

4. Octav                                                4. „

5. Rohr-Flöte                                     4. „

6. Octav                                                2. „

7. Nassat                                              3. „

8. Sedecima                                        1. „

9. Schweitzer-Pfeiffe                     1. „

10. Largo

11. Mixtur dreyfach

12. Helle Cymbal 2. Chor

 

III. Zu dem untersten Clavier

und Hinter-Wercke, als ein Echo

1. Lieblich getackt von Holtz       8. Fuß

2. Quinta-Tön                                     8.

3. Fleute deuce                                  4. „

4. Quinta decima                              4. „

5. Decima nona                                  3. „

6. Holl-Flöte                                       2. „

7. Viola                                                  2.

8. Vigesima nona                             1 . „

9. Weit-Pfeiffe                                  1. Fuß

10. Mixtur dreyfach

11. Helle Cymbal 2. Chor

12. Sertin                                             8. „

 

IV. Sechs Register, die durch eine neue

und sonderliche Erfindung des Orgel-

machers... auf den großen Manual-

Windladen mit ins Pedal angebracht

worden.

1. Groß Principal Bass im Gesichte von

reinen Berg-Zinn                             16. Fuß

2. Groß Quinta-Tön-Bass             16.

3. Octav-Bass                                     8. „

4. Octav-Bass                                    4. „

5. Quint-Bass                                     3.

6. Mixtur-Bass   5. und 6fach

 

V. Auf den kleinen Brust-Pedal-

Wind-Laden.

1. Groß hell-Quinten-Bass von reinen

Berg-Zinn im Gesichte                  6. Fuß

2. Jubal-Bass                                     8.

3. Nacht-Horn-Bass                       4. „

4. Octav-Bass                                   2.

 

VI. Auf den großen Wind-Laden zu

beyden Seiten.

1. Groß Principal-Bass von reinen Berg-

Zinn im Gesichte                            16. Fuß

2. Sub-Bass                                       16.

3. Posaunen-Bass                          16. „

4. Trompeten-Bass                         8. „

5. Holl-Flöten-Bass                         1.

6. Mixtur-Bass   4fach

 

VII. Bey-Register.

1. Ventil zum Haupt-Werck

2. Ventil zur Brust.

3. Ventil zun Seiten-Bässen.

4. Ventil zur Brust und Manual.

5. Ventil zum Stern.

6. Ventil zum Hinter-Werck.

7. Calcanten-Glöckgen.

Summa der Register  61.

 

 

Quelle: Bach-Dokumente, Band 1, Nr. 87 und S. 167