Rathaus
An der Ostseite des zentral gelegenen Marktplatzes erhebt sich das Leipziger Rathaus. Der heutige Bau mit seinem markanten Uhrturm geht auf einen kleineren gotischen Vorgängerbau zurück, der 1556/57 unter Ratsbaumeister Hieronymus Lotter vergrößert und modernisiert wurde. Das Obergeschoss erhielt einen großen Saal mit steinerner Pfeiferstuhl genannten Musizierempore an der nördlichen Stirnwand; hier fanden Hochzeiten wohlhabender Bürger, Tänze und Bälle der Handwerkerinnungen, kurfürstliche Zusammenkünfte und Feste des Rates statt. Nördlich des Saals befanden sich die Räume des sächsischen Oberhofgerichts, im Süden lagen mit der Ratsstube und dem Besprechungsraum des Engeren Rats die wichtigsten Bereiche der städtischen Verwaltung, die der Öffentlichkeit nur auf Einladung zugänglich waren. Ein unzureichendes Fundament führte in der Ratsstube zu Rissen, sodass das Gebäude 1672 umfassend erneuert werden musste. Die Schmalseiten erhielten verzierte Erker und das gesamte Gebäude ein neues Dach mit kupfernen Dachrinnen. Im Erdgeschoss befanden sich Verkaufsstände und Läden; im Durchgang zum Naschmarkt betrieb der Buch- und Kartendrucker Johann Theodor Boethius sein gut gehendes Ladengeschäft, das 1722 seine Tochter Rosine Dorothee erbte, die 1726 den Dresdner Kupferstecher Johann Gottfried Krügner heiratete. Im Ladengeschäft bot sie Kupferstiche, theologische Traktate, Führer durch Leipzigs Kaffee- und Gasthäuser, Kalender und brasilianischen Tabak sowie Musikalien an. 1731 vertrieb sie unter anderem den ersten Teil von Johann Sebastian Bachs Clavir Ubung, bestehend aus den sechs Partiten für Tasteninstrument BWV 825–830.
Bildnachweis Graphik und Fotografie Festsaal: Bach-Archiv Leipzig
Bildnachweis Fotografie von Hermann Walter: Stadtarchiv Leipzig
Das Stadtregiment bestand aus drei gleichen Ratskollegien, die gemäß der Ratsordnung aus jeweils zwölf Personen sowie einem auf Lebenszeit gewählten Bürgermeister bestehen sollten und sich jährlich in der Leitung abwechselten. Das jeweils regierende Gremium wurde als „Sitzender Rat“, die anderen beiden als „Ruhende Räte“ bezeichnet, die ebenfalls in die Verwaltungs- und Amtsgeschäfte eingebunden waren, namentlich in Stadt-, Handels-, Vormundschafts- und Landgericht. Die Zusammenkunft der drei Räte hieß Voller oder Gesamter Rat. Jeder der drei Räte wählte zwei Baumeister, die für das gesamte öffentliche Bauwesen und die Instandhaltung von Straßen und Plätzen wie auch der öffentlichen Einrichtungen zuständig waren. Bei Bedarf konnte der Enge Rat zusammentreten, der aus den drei Bürgermeistern mit zwei Konsulenten, den sechs Ratsbaumeistern und einem Syndikus sowie dem Oberstadtschreiber als Protokollant bestand. Zur Bachzeit fanden die Ratssitzungen täglich (außer samstags) zwischen 9 und 11 Uhr in der Ratsstube statt, wer unentschuldigt fehlte, musste 6 Groschen Strafe bezahlen. Die auf Lebenszeit gewählten Ratsherren waren überwiegend Kaufleute und Gelehrte, vor allem Juristen; Verstöße gegen die Schweigepflicht, Untreue oder Konkurs führten meist zu sofortigem Ausschluss.
Der feierliche Ratswechsel fand jährlich an Bartholomäi, dem 24. August, statt. Da der Kurfürst in Dresden die Personen zuvor bestätigen musste, fand die eigentlich Wahl (von der die Öffentlichkeit ausgeschlossen war) etwa eine Woche zuvor statt. Den Ratswechsel leitete der feierliche Eid auf die Dienstbibel in der Ratsstube ein, danach wurden öffentlich die Namen der neuen Räte und Bürgermeister verlesen und der Ratswechsel im großen Saal festlich begangen. Der Sitzende Rat wählte anschließend den regierenden Bürgermeister aus seinen Reihen, den die Bürger anerkennen mussten. Schließlich erklang in einem Festgottesdienst in der Nikolaikirche eine eigens komponierte Musik des Director Musices.
In der Ratsstube führte Bach im April 1723 die Verhandlungen zu seiner Anstellung als Thomaskantor und unterschrieb den provisorischen Vertrag (Dok I, Nr. 91). Für den Ratswechsel am 30. August 1723 komponierte er Preise, Jerusalem, den Herrn BWV 119, vermutlich für den Ratswechsel 1729 entstand Gott, man lobet dich in der Stille BWV 120, die er umgearbeitet um 1742 wiederaufführte. Für den 27. August 1731 komponierte er die Kantate Wir danken dir, Gott BWV 29 mit virtuosem Orgelpart, die er am 31. August 1739 und am 25. August 1749 jeweils in der Nikolaikirche wiederaufführte und Teile des Eingangschores in die h-Moll-Messe BWV 232 integrierte. Für den Ratswechsel am 26. August 1748 arbeitete er die zum 15. August 1723 entstandene Kantate Lobe den Herren, meine Seele BWV 69.1 um.
Bildnachweis: Bach-Archiv Leipzig (Dr. Markus Zepf, März 2020)