Johannisfriedhof

Aus verschiedenen Gründen bestimmte Herzog Georg von Sachsen 1536 den Gottesacker an der Johanniskirche in der Grimmaischen Vorstadt zum alleinigen Begräbnisplatz der Stadt Leipzig; damit verbunden war die Ausdehnung der Begräbnisfläche auf die südliche Seite der Kirche. Die bisherigen Friedhöfe um die Innenstadtkirchen hatten im eng bebauten Stadtkern mehrfach zu hygienischen Problemen geführt und wurden auf landesherrliche Anordnung geschlossen. Heute erinnern noch Straßennamen wie Thomaskirchhof, Nikolaikirchhof oder Matthäikirchhof daran.

Etwa 250 Meter hinter dem Gottesacker befand sich an der Weggabelung nach Crottendorf und Wurzen (am heutigen Rabensteinplatz) der städtische Richtplatz für Enthauptungen sowie etwas weiter östlich Galgen und Rad. Die Todesstrafe wurde meist unter reger Beteiligung von Schaulustigen vollzogen, anschließend einige der Leichname auf dem Johannisfriedhof bestattet, andere als „Cadavera“ auf einer Wiese neben Galgen vergraben oder, auf das Rad geflochten, Witterung und Tierreich preisgegeben. Für das 18. Jahrhundert weist Rico Heyl im zweiten Band der Geschichte der Stadt Leipzig (S. 181) 41 Hinrichtungen nach, davon 33 durch das Schwert, fünf durch Rädern und drei durch den Strang, wobei neun Enthauptungen auf dem Marktplatz stattfanden. In der Regel begleiteten die Thomaner mit geistlichen Gesängen die Delinquenten zum Richtplatz.

Nach Gustav Wustmann musste der Friedhof 1580 nach Osten erweitert werden (im Plan "erste Abtheilung" beim Hospital am unteren Bildrand), 1616 kam eine dritte Vergrößerung hinter den Scheunen des Johannishospitals mit dem Hospitalbogen hinzu (im Plan links vom Hospital auf der Zweiten Abteilung), die vierte Erweiterung erfolgte schließlich im Pestjahr 1680. Wie der Plan zeigt, umgaben Grabgewölbe den Friedhof und die Abteilungen, sodass neben Erdgräbern auch die exklusiveren Grabgewölbe als Erbbegräbnisse zur Verfügung standen. Der Johannisfriedhof erstreckte sich schließlich bis zum heutigen Gutenbergplatz und nahm in der vierten, als Park erhaltenen Abteilung, Massengräber für Verstorbene des Siebenjährigen Kriegs sowie der Völkerschlacht 1813 auf. Schon 1850 wurde um die Kirche der Friedhof säkularisiert und an der Westseite der Kirche als "Johannisplatz" geöffnet, Teile der Kirchhofmauer an der heutigen Dresdner- und Pragerstraße wurden niedergelegt und der Friedhof in diesem Bereich zum Park umgestaltet; lediglich das hinter dem Chorraum gelegene Grab des Dichters Christian Fürchtegott Gellert blieb damals erhalten. Am Heiligen Abend 1883 fand die letzte Beerdigung auf dem Johannisfriedhof statt. Auf den ehemaligen Abteilungen I und II, die das ursprünglich als Hospital für Leprakranke gegründete Johannishospital umfasste, entstand 1925–29 das neue Grassimuseum.

Bildnachweis Lageplan: wikimedia
Bildnachweis Fotografie: Bach-Archiv Leipzig

Am 28. Juli 1750 starb Johann Sebastian Bach abends acht Uhr; sein Leichnam wurde am nächsten Tag mit dem Leichenwagen ohne Gebühr auf den Friedhof verbracht (Dok II, Nr. 608) und am 30. oder 31. Juli 1750 in einem flachen Grab beigesetzt. Wo sich die Grabstätten seiner in Leipzig verstorbenen Kinder und der zweiten Ehefrau Anna Magdalena Bach (gestorben am 27. Februar 1760) befanden, ja, ob die Eheleute wie dies heute üblich ist, im selben Grab bestattet wurden, ist ebenso unbekannt, wie die Grabstätten seiner in Leipzig gestorbenen Kinder und der 1729 verstorbenen Schwägerin Friedelena Margaretha Bach. Todtengräber Müller lieferte am 31. Juli "wegen Herrn Johann Sebastian Bach’s eichenem Sarg“ die für Bestattungen in Kiefer- und Eichensärgen übliche Gebühr von 4 Talern an das Johannisspital ab (Dok II, Nr. 610). Den damaligen Gepflogenheiten folgend, war Bachs Grabstätte unbezeichnet und schon vor dem Tod der letzten Tochter Regina Susanna Bach am 14. Dezember 1809 in Vergessenheit geraten. Johann Friedrich Rochlitz, Redakteur der noch jungen Allgemeinen Musikalischen Zeitung notierte am 12. März 1800: "So ist es z. B. umsonst, selbst des mit Recht tief verehrten, ja schon bey seinen Lebzeiten tief verehrten Sebastian Bachs Ruhestätte, oder irgend Etwas, das sein Andenken erhalten sollte – in Leipzig ausforschen zu wollen." (Dok III, Nr. 1032)

In seinem Essay "Monument für Beethoven" berichtet Robert Schumann 1836 in seiner Neuen Zeitschrift für Musik: "Eines Abends ging ich nach dem Leipziger Kirchhof, die Ruhestätte eines Großen aufzusuchen: viele Stunden lang forschte ich kreuz und quer – ich fand kein 'J. S. Bach' ... und als ich den Totengräber darum fragte, schüttelte er die Obskurität des Mannes den Kopf und meinte: Bach gäb's viele." Heinrich Heinlein hält in seinem 1844 gedruckten Werk Der Friedhof zu Leipzig in seiner jetzigen Gestalt auf Seite 202 fest: "Der Ort, wo die Cantoren Doles, Hiller und Schicht [...] ihre Ruhestätte fanden, ist genau angegeben, obgleich kein Denkmal denselben bezeichnet; aber unmöglich war es, das Grab von Johann Sebastian Bach [...] zu ermitteln, da zufällig die Todtenregister an der Stelle, wo derselbe verzeichnet war, von der Zeit beschädigt und unleserlich geworden sind."

Zu Johann Sebastian Bachs 200. Geburtstag am 21. März 1885 war auf der Südseite der Johanniskirche eine Tafel mit einer von Stadtarchivar Gustav Wustmann entworfenen Inschrift angebracht worden: „Auf dieser Seite / des ehemaligen Johanniskirchhofes / wurde / Johann Sebastian Bach / am 31. Juli 1750 begraben.“ Im Vorfeld des beschlossenen Neubaus der Johanniskirche nutzte Nikolaipfarrer Friedrich Georg Tranzschel im Spätjahr 1893 die sich bietende Gelegenheit, nach Johann Sebastian Bachs Grabstätte suchen zu lassen. Einer mündlichen Überlieferung zufolge soll „Bach sechs Schritte geradeaus von der Thüre an der Südseite der Kirche beerdigt worden sein“ – wann diese Überlieferung einsetzte und ob sie tatsächlich auf den Thomaskantor bezogen war oder einen anderen Namensträger Bach (wie beispielsweise den Universitätsschreiber Michael Bach), ist unbekannt. Noch wenige Tage vor der Suche nach Bachs Grab veröffentlichte Wustmann seine Zweifel in einer Studie zu "Bachs Grab", unterstützte aber den Plan der vom Rat der Stadt Leipzig eingesetzten Kommission, der mündlichen Überlieferung folgend auf der Südseite der Kirche in einer abgesteckten Fläche den Boden „auf eine Tiefe von etwa 2 ½ Meter ausheben“ zu lassen, wie der Leipziger Anatom Wilhelm His am 3. März 1895 in seinem Bericht überliefert (S. 4). Am 22. Oktober 1894 fanden die Totengräber ein Grab mit einem Eichensarg, dessen Inhalt Wilhelm His am Nachmittag mit dem Anatomiediener Dornfeld bei anhaltendem Regen barg, weshalb die Hände und Finger nur unvollständig erhalten sind: „Das Skelett gehörte, wie sich sofort mit Sicherheit herausstellte, einem älteren, keineswegs sehr grossen, aber wohlgebauten Manne an.“ In seinem Forschungslabor verglich His den geborgenen Schädel mit den überlieferten Bach-Porträts und stellte große Übereinstimmungen fest, sodass die vom Rat der Stadt Leipzig eingesetzte Kommission am 8. März 1895 feststellte: „Die Annahme, dass die am 22. October 1894 an der Johannis-Kirche in einem eichenen Sarge aufgefundenen Gebeine eines älteren Mannes die Gebeine von Johann Sebastian Bach seien, ist in hohem Grade wahrscheinlich.“ (S. [16]) Da auf dem eichenen Sarg die Bestattung einer Frau stattgefunden hatte, in deren Sarg sich unter anderem ein Fingerhut fand, waren sich alle Beteiligten darüber einig, das Grab von Johann Sebastian und Anna Magdalena Bach gefunden haben. Ob dem tatsächlich so ist, sei dahingestellt. An der Südwand der Johanniskirche informierte die Inschrift: "An dieser Stelle der jetzigen Kirchen Mauer lag der grosse Thomaskantor Johann Sebastian Bach begraben + Als das alte Kirchen Schiff abgebrochen wurde, öffnete man am 22. Oktober 1894 das Grab. Nach Vollendung des Neubaues wurden am 16. Juli 1900 die Gebeine Bachs in der Gruft unterm Altar beigesetzt."

Die geborgenen Gebeine des nach His’ Untersuchung etwa 166 Meter großen Mannes wurden mit den Überresten des Dichters Christian Fürchtegott Gellert in einer eigens angelegten Gruft vor den Chorstufen der neuen Johanniskirche in einem Sarkophag aus französischem Kalkstein bestattet. Die Bach-Gellert-Gruft war 1945 durch eine Zement-Beton-Decke gesichert worden, weshalb die beiden Schausärge unversehrt die Zerstörung der Johanniskirche überstanden. Universitätsmaurermeister Adalbert Malecki überführte den Bach-Sarg am 28. Juli 1948 in die Thomaskirche; der Gellert-Sarg kam in den Nordchor der Universitätskirche und wurde vor deren Sprengung im Mai 1968 auf dem Südfriedhof in Abteilung I, Erbbegräbnis 21, beigesetzt.

Auf Initiative des Fördervereins „Johanniskirchturm e.V.“ markieren im Rasen vor dem Grassi-Museum ein Rechteck die Umrisse der ehemaligen Bach-Gellert-Gruft und ein Kreis die Position des sogenannten Bach-Grabes. An der steinernen Einfassung hat die Stadt Leipzig 2016 gegossene Bronzeplatten mit Informationen zur Geschichte von Johanniskirche und Spital, des Friedhofs sowie der Grabstätten Bachs und Gellerts anbringen lassen.

Bildnachweis Fotografie 1948: Bach-Archiv Leipzig (Sammlung Heyde)
Bildnachweis heutiger Zustand: Bach-Archiv Leipzig (Dr. Markus Zepf, März 2020)