Wohnung Georg Böhm

Im September 1698 war der Organist Georg Böhm als Nachfolger Christian Flors zum Organisten der Johanniskirche bestallt worden. 1661 in Hohenkirchen unweit Ohrdruf geboren, war Böhm nach seiner Schulzeit in Goldbach und Gotha ab 1693 in Hamburg nachweisbar. Ob er mit dem Ohrdrufer Organisten Johann Christoph Bach oder anderen Familienmitgliedern bekannt war, ist bislang unbekannt. Am 13. Januar 1775 berichtete Carl Philipp Emanuel Bach dem späteren Bach-Biographen Johann Nikolaus Forkel, dass sein Vater unter anderem die Werke von Dieterich Buxtehude, Jan Adams Reinken, Nicolaus Bruhns und „seinem dem Lüneburgischen Lehrmeister Böhmen Organisten Böhmen geliebt u[nd]. studirt“ hatte. Wann und bei welcher Gelegenheit Bach Böhm kennenlernte und ob er gar im Haus seines Thüringer Landsmanns lebte, ist unbekannt.

Michael Maul und Peter Wollny entdeckten 2005 in Weimar unter anderem eine Tabulaturabschrift von Jan Adams Reinckens komplexem Choralvorspiel An Wasserflüssen Babylon mit dem Schlussvermerk „Il Fine | â Dom. Georg: Böhme | descriptum ao. 1700 | Lunaburgi“. Durch die Untersuchung der Handschrift konnten sie den 15-jährigen Bach als Schreiber identifizieren. Der Schlussvermerk ergänzt Carl Philipp Emanuel Bachs gestrichenen Hinweis vom Januar 1775, wonach Böhm der Lüneburger Lehrmeister seines Vaters gewesen war. Dass zwischen beiden noch Jahrzehnte später ein gutes Verhältnis bestanden haben muss, deutet eine Notiz in der Leipziger Post-Zeitung vom 19. September 1727 an, in der „Herr Böhmen, Organisten zu St. Johann in Lüneburg“ unter Bachs Vertriebspartnern der Partiten II (BWV 826) und III (BWV 827) aus dem ersten Teil der Clavir Ubung genannt ist (Dok II, 224).

Von 1699 bis 1711, mithin also während Bachs Lüneburger Aufenthalt, lebte die Familie Böhm im Haus des Ratssyndikus’ und späteren Bürgermeisters Tobias Reimers, dem zweigeschossigen Backsteinbau Neue Sülze 8. Der Straßenname des leicht gewundenen Straßenzugs zwischen Marktplatz und der Saline im Südwesten leitet sich von einer alten Solequelle ab, die in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts auf den heutigen Grundstücken 4 und 6 betrieben wurde. Der nördliche Bereich der Neuen Sülze war wegen der großzügig bemessenen Grundstücke mit ihren bis zu 70 Meter in die Baublocks reichenden Gärten bei der städtischen Oberschicht begehrt, während auf der kleinteiligen Parzellierung im südlichen Abschnitt mehr Handwerkerfamilien lebten.

Das von Georg Böhm bewohnte stattliche Haus war 1568 durch Johann Töbing errichtet worden. Die Fassaden waren reich mit Terrakotten geschmückt, die zum Teil erhalten sind. Schon 1802 mussten Teile des Gebäudes zugunsten eines Neubaus auf dem Nachbargrundstück Nr. 9 weichen. Der restliche Gebäudeteil wurde 1961 mit Haus Nr. 9 zugunsten eines Parkhauses abgebrochen.

Die Familie Böhm zog 1711 in die (heutige) Papenstraße 13 in direkter Nachbarschaft zur Johanniskirche. Das zweigeschossige Gebäude gehörte zum Eigentum des 1501 erstmals genannten Hospitals zum Gral und wurde 1738 verkauft. Heute erinnert über dem Eingang eine geschnitzte Holztafel an den einstigen Bewohner: „In diesem Hause starb am / 18. Mai 1733 / Georg Böhm / 1698–1733 Organist am [sic] St. Johannis / ein Vorläufer Joh. Seb. Bach’s“.

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