Eine Kindheit in Eisenach

In Eisenach, einer kleinen Residenzstadt im Knotenpunkt von vier Tälern und am Zusammenfluss von Nesse und Hörsel gelegen, wird Johann Sebastian Bach am 21. März 1685 geboren und zwei Tage später (dem Montag nach Oculi) in der Georgenkirche durch Magister Johann Christoph Zerbst getauft. In den protestantischen Ländern des Heiligen Römischen Reichs gilt noch der julianische Kalender; erst im Februar 1700 führen die protestantischen Fürsten den "verbeßerten Calender" ein, den Papst Gregor XIII. im Oktober 1582 für die katholische Kirche als verbindlich erklärt hatte. Diesem folgend, wäre Bachs Geburtstag der 31. März.

Die Gegend um Eisenach war bereits in vorchristlicher Zeit besiedelt und ist urkundlich seit der Mitte des 12. Jahrhunderts als wichtiger Handelsplatz mit eigenem Münzrecht nachgewiesen. Die Lage an der Fernhandelsstraße ins Rheinland begünstigt die Entwicklung der Stadt ebenso, wie der Hof der Landgrafen von Thüringen, der Dichter und Künstler anzieht. Der "Sängerkrieg auf der Wartburg" ist nicht zuletzt durch die romantische Bearbeitung in Richard Wagners Oper Tannhäuser bis heute legendär. Die Stadt Eisenach besaß seit dem 12. Jahrhundert eine Lateinschule bei der Stadtkirche St. Georgen, die Martin Luther zwischen 1498 und 1501  besuchte. Damals erhielt der Schüler durch die Familie Cotta materielle Unterstützung. Ob die Cottas zu dieser Zeit tatsächlich im heutigen "Lutherhaus" in der Lutherstraße 8 wohnten, ist unklar. Auf der Wartburg oberhalb Eisenachs übersetzte der Reformator bekanntlich das Neue Testament in die Volkssprache. Die von ihm in Schwange gebrachte Reformation erfasste 1525 Eisenach und veränderte das politische wie geistliche Leben nachhaltig.

In Eisenach wirkte Johann Sebastian Bachs Vater Johann Ambrosius von Oktober 1671 bis zu seinem Tod am 20. Februar 1695 als Leiter der Stadtmusik (sogenannter Hausmann). Seit 1665 stand sein Arnstädter Vetter Johann Christoph Bach ebenfalls in städtischen Diensten, nämlich als Organist der Georgen- und Nicolaikirche. Nachdem Herzog Johann Georg I. von Sachsen-Weimar 1672 sein eigenes Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach gegründet hatte, bestallte er Johann Ambrosius Bach und Johann Christoph Bach zusätzlich als Hofmusiker. Mit dem Tod seines Enkels, Herzog Wilhelm Heinrich am 26. Juli 1741, erlosch diese Linie und das Fürstentum fiel zurück an die Regenten in Weimar.

Eine bildhafte Vorstellung vom Handels- und Residenzort Eisenach zur Bachzeit liefert der (idealisierte) Kupferstich von Caspar und Matthäus Merian. Wir sehen Eisenach kurz nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges am Fuße der Wartburg (Nr. 16, bezeichnet als Schloss Wartenberg). In der Bildmitte liegt der Marktplatz, umgeben von der Stadtkirche St. Georg (2), dem 1507 auf der Südseite errichteten "Fürstl. Residentz Schloß" (1) sowie dem Rathaus mit seinem markanten Türmchen (3), das einer der Dienstorte von Bachs Vaters war. Eine umlaufende Stadtmauer, die heute in Teilen erhalten ist, trennt die Altstadt von den Vorstädten. Zahlreiche Kirchen und Klöster prägen bis heute das Stadtbild, wenngleich im Laufe der Zeit ihr Erscheinungsbild verändert wurde. In seiner 1708 publizierten Beschreibung der Residenzstadt nennt Johann Bergenelsen Eisenach eine "ziemlich starck bewohnte" Stadt mit rund 15.000 Einwohnern, spätere Chronisten gingen von etwa der Hälfte aus. Anschaulich berichtet der Straßburger Orgelbauer Johann Andreas Silbermann, der vom 28. Februar auf den 1. März 1741 in Eisenach Station machte, in seinem Reisetagebuch, dass wie in Gotha "fast alle 60 schriet 3eckigte blechene laternen" standen, die nachts angezündet wurden. Für die Alltagskleidung der Eisenacherinnen fand er allerdings weniger schmeichelhafte Worte: "Die tracht der Weibsleuthe sieht recht alber aus, sie lauffen alle mit schwartzen Mändeln |: es mag regnen oder nicht :| wie in Straßburg die Gardner haben, und meistens baarfuß, auf den Köpffen haben sie dicke peltzlappen."

Bildnachweis:
Graphik Bach-Archiv Leipzig
Foto Lutherhaus: Dr. Markus Zepf (Juni 2019)