Kantorenwohnung

Der Thomaskantor bewohnte mit seiner Familie den südlichen Teil der Thomasschule, der Rektor den nördlichen. Nach Johann Kuhnaus Tod war die auf drei Etagen verteilte Kantorenwohnung renoviert und ein neuer eiserner Ofen eingebaut worden. Am 22. Mai 1723 „zu Mittage kamen 4. Wagen mit Haus-Raht beladen von Cöthen allhier an“, die Familie Bach traf zwei Stunden später „auf 2 Kutschen an, und bezog die in der Thomas-Schule neu renovirte Wohnung.“ (Dok II, Nr. 138). Die Stadtrechnungen enthalten für November 1726 und April 1727 nicht näher spezifizierte Maurer- und Zimmermanns-Arbeiten in den Wohnungen des Rektors und Kantors (Dok II, Nr. 215). Während der Erweiterung des Schulhauses wohnte die Familie Bach vermutlich von Ende Juni 1731 bis 24. April 1732 im Haus des Juristen Dr. Christoph Donndorf, Hainstraße 17 (Dok II, Nr. 291 und Dok II, Nr. 296), wo vom 9. bis 17. Januar 1729 Herzog Christian von Weißenfels während der Neujahrsmesse abgestiegen war und Bach ihm am 12. Januar die Huldigungskantate O angemehme Melodei BWV 210.1 darbrachte. Nach dem Umbau der Thomasschule standen der Familie Bach rund 250 Quadratmeter Wohnfläche auf drei Stockwerken zur Verfügung, eine Kammer auf dem Dachboden nicht eingerechnet. Den erhaltenen Bauplänen zufolge befanden sich im Erdgeschoss neben einer beheizbaren Stube die Waschküche und Toilette, im ersten Obergeschoss vier Wohnräume und die kleine Küche von rund 8 qm, im zweiten Obergeschoss zwei Wohnräume und im dritten Obergeschoss ein weiterer Raum mit geräumigem Flur. Mit Blick auf die wachsende Familie, zu der Bachs am 28. Juli 1729 gestorbene Schwägerin aus erster Ehe, Friedelena Margaretha Bach, sowie Gesinde und Privatschüler gehörten, wird die Belegung der Räume im Laufe der 27 Jahre, die das Ehepaar Bach dort lebte, mehrfach verändert worden sein.

Bildnachweis Graphik: Bach-Archiv Leipzig
Bildnachweis Thomasschule: Stadtarchiv Leipzig
Bildnachweis Innenaufnahme: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Während eines Umbaus wurde 1829 die veränderte Raumaufteilung von 1732 teilweise rückgängig gemacht (Dok II, Nr. 290). Aus späterer Zeit ist eine Belegung der Räume durch Thomaskantor Moritz Hauptmann überliefert, der im ersten Obergeschoss hinter der Küche zum Auditorium der Tertia seine „Componierstube“ hatte. Beim Abbruch der Thomasschule kam unter dem Dielenboden ein Rastral (Hilfsmittel zum Ziehen der Notenlinien) zum Vorschein, weshalb bis heute davon ausgegangen wird, dass auch Bach in diesem Raum komponierte. Impressionen einiger Räume liefern unmittelbar vor dem Abbruch entstandene Fotografien.

Beim Abbruch übernahm die 1900 gegründete Neue Bachgesellschaft die Eingangstüre zur Kantorswohnung, die nach einem Interim im Bosehaus seit 2007 wieder im Bachhaus Eisenach ausgestellt ist. Der bedeutende Sammler historischer Musikinstrumente, Paul de Wit, hatte seit März 1887 gegenüber der Thomasschule, im Bosehaus, sein Verlagsbüro und präsentierte dort seit März 1893 seine umfangreiche Sammlung. Er ergatterte drei weitere „Reliquien“ der alten Thomasschule, nämlich das 1885 im Zuge der Neunummerierung von Leipzigs Straßenzüge angebrachte Hausnummernschild „18“, ein hölzernes Laufrad mit Schellen sowie eine gusseiserne Ofenplatte und notiere dazu unter den Nummern 1001–1003 im 1903 gedruckten Sammlungskatalog (S. 178): „Erinnerungen an die alte Thomasschule aus Bachs Zeit. […] Das Laufrad mit Schnur und Gewicht diente gleichzeitig als Thürklingel [sic] und Türschliesser. Beim Oeffnen und Schliessen der Türe wurden durch die Drehung des Laufrades die darin frei liegenden Schellen in Bewegung gebracht. – Die gusseiserne Ofenplatte stammt aus dem ehemaligen Bachzimmer. Die Platte kam erst zum Vorschein, nachdem man den Putz, womit sie jahrhundertelang verdeckt war, entfernt hatte. Sie trägt das kurfürstlich sächsische Wappen, ein Monogramm und die Jahreszahl 1706.“ Paul de Wit verkaufte seine Sammlung 1905 dem Kölner Papierfabrikanten und Musikmäzen Wilhelm Heyer; dessen Kustos Georg Kinsky veröffentlichte 1910 im ersten Band des Sammlungskatalogs eine Fotografie des arrangierten Ensembles.

Die Thomasschule wurde 1902 abgebrochen und an ihrer Stelle mit verkleinertem Grundriss 1903 die Superintendentur, das heutige "Thomashaus" erbaut. Unweit des 1908 eingeweihten Bach-Denkmals von Carl Seffner erinnern zwei Bronzeplaketten an der Wand der Superintendentur an die berühmten Bewohner. Eine Ansicht des Gebäudes hat Seffner auf der Rückseite seines im Geist des 19. Jahrhunderts gestalteten Bach-Denkmals aufgenommen. Wenige Meter entfernt, befindet sich in der Grünanlage am oberen Dittrichring das 1843 von Felix Mendelssohn Bartholdy gestiftete älteste Bach-Denkmal mit einer Bach-Büste des Bildhauers Hermann Knaur.

Bildnachweis Altes Bach-Denkmal: Bach-Archiv Leipzig (Matthias Knoch, März 2017)
Bildnachweis Bach-Denkmal Thomaskirchhof: Bach-Archiv Leipzig (Dr. Markus Zepf, März 2019)
Bildnachweis Bronzetafeln: Bach-Archiv Leipzig (Dr. Markus Zepf, März 2020)