Neue Kirche

Unweit des Thomasklosters entstand im Nordwesten der Leipziger Innenstadt vermutlich im frühen 13. Jahrhundert die Klosterkirche der Franziskaner. Im Zuge eines 1476 eingeleiteten Neubaus entstand auf der Südseite der Kirche die Klosteranlage mit Klausur, die 1494 geweihte zweischiffige Hallenkirche mit einfachem Sterngewölbe schloss an den hochgotischen Chorraum an. Mit der Einführung der Reformation in Leipzig erfolgte am 6. August 1539 die Aufhebung des Barfüßerklosters, vier Jahre später verließen die letzten Mönche das Kloster, das an Herzog Moritz von Sachsen fiel, der es der Stadt Leipzig verkaufte. Da bereits ausreichend Kirchen vorhanden waren, beschloss der Stadtrat zunächst den Chorraum abzubrechen und die Klausurgebäude zu Wohnungen umzugestalten; ab 1552 diente das Kirchenschiff als Stapelplatz der Kaufleute.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erholte sich Leipzig zusehends von den Wirren des Dreißigjährigen Krieges, die Bevölkerung wuchs an und ein weiterer Kirchenraum musste her. 1671 setzten bürgerschaftliche Bemühungen um eine Wiederbelebung des Sakralraums ein, die schließlich 1698/99 in den Wiederherstellung der Kirche nach Plänen von Baumeister George Winckler (unter möglicher Einbeziehung von Ratsbaumeister und Obervogt Johann Michael Senckeisen) mündeten. Die Ostseite der Kirche erhielt eine repräsentative barocke Vorhalle mit einem fünfachsigen Mittelrisaliten, bekrönt von einem Segmentbogengiebel mit dem Stadtwappen. In der Nordostecke nahm ein Treppenturm die neue Türmerwohnung auf, an der Nordseite der Kirche entstanden Betstuben, den Familienkapellen an der Thomas- und Nikolaikirche vergleichbar. Die am 24. September 1699 geweihte „Neue Kirche“ (kurz Neukirche genannt) besaß ähnlich der benachbarten Thomaskirche ein charakteristisch steiles Dach von 35 Metern Höhe, das schließlich 1703/04 durch Johann Christian Schmidt und Maurermeister Johann Gregor Fuchs einen Dachreiter erhielt.

Bildnachweis: Bach-Archiv Leipzig

Das Innere der Neuen Kirche war bewusst als evangelische Predigtkirche mit umlaufenden Doppelemporen konzipiert. An der östlichen Stirnseite befand sich der von einem Gitter umgebene Altar, von Michael Hoppenhaupt aus Merseburg errichtet, mit einer Darstellung der Verkündigung an Maria. Über dem Altar hing die Kanzel, darüber die 1703 von Christoph Donat Vater und Sohn vollendete Orgel mit 21 Registern auf II Manualen und Pedal, die Georg Philipp Telemann am 7. September 1704 „mit wohl componirten Stücken“ einweihte (1847 lieferte Johann Gottlob Mende einen Neubau). Telemann hatte bis 1705 das Amt des Musikdirektors inne und gründete ein studentisches Collegium Musicum, das Thomaskantor Johann Kuhnau offenbar fähige Musiker entzog. Mit dem 1703 verpflichteten Türmer Christoph Stephan Scheinhardt stand ein weiterer ausgebildeter Musiker und Blasinstrumentenbauer zur Verfügung, dessen Ensemble („Scheinhardtsche Compagnie“) in die Figuralmusik eingebunden war. In der Neukirche musizierte seit 1699 der dritte Chor der Thomasschule, unterstützt durch studentische und freie Musiker. Am 1. August 1720 war Georg Balthasar Schott als Organist bestallt worden; 1722 bewarb er sich ebenfalls auf das Thomaskantorat und führte am Fest Mariae Reinigung (2. Februar 1723) in der Neukirche seine Probemusik auf (Dok II, Nr. 122). Im Frühjahr 1729 wechselte er als Stadtorganist nach Gera und Johann Sebastian Bach übernahm das regelmäßig in Zimmermanns Kaffeehaus musizierende Schott’sche Collegium Musicum. Als neuen Organisten und Musikdirektor der Neukirche wählte – auf Bachs Empfehlung – der Stadtrat am 10. Mai 1729 Carl Gotthelf Gerlach, der bis 1761 amtierte.

Wie die anderen Leipziger Kirchen diente auch die Neukirche 1806–1810 als Lager für preußische Kriegsgefangene und war 1813–16 Lazarett. Entsprechend litt die Inneneinrichtung, die anschließend renoviert werden musste. Erst am 8. Oktober 1876 wurde die Neue Kirche zur selbständigen Pfarrkirche erhoben und erhielt den Namen des Evangelisten Matthäus. Unter dem Leipziger Architekten Oscar Mothes fand 1877–1880 eine Renovierung im Stile der Neugotik statt. Am 4. Dezember 1943 zerstörten Bomben das Gotteshaus, in dessen Ruine am 1. August 1948 der letzte Gottesdienst stattfand. Teile des Inventars sind in der Thomaskirche erhalten. Auf dem Gelände der Matthäikirche und des ehemaligen Klosters entstand Ende der 1950er Jahre die Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. An die Zerstörte Kirche erinnert seit 1998 am Rande des Grundstücks ein Denkstein des Leipziger Künstlers Matthias Klemm.

Bildnachweis Mattäikirchhof um 1900, Fotoatelier Hermann Walter: Stadtarchiv Leipzig
Bildnachweis heutiger Zustand: Bach-Archiv Leipzig (Dr. Markus Zepf, März 2020)