Einleitung

Die längste Zeit seines Lebens verbrachte Johann Sebastian Bach in der Handels- und Messestadt Leipzig. Im April 1723 wählte ihn der Stadtrat zum Kantor der Thomasschule und Director musices, im Mai zog die Familie von Köthen nach Leipzig. Hatten in Weimar die Orgel- und in Köthen die kammermusikalischen Werke im Fokus gestanden, widmete er sich in Leipzig zunächst dem geistlichen Vokalwerk. Für die beiden Hauptkirchen St. Nikolai und St. Thomas entstanden die Kantaten-Jahrgänge, seine Passionen und Oratorien.

Leipzig ist dank des kaiserlichen Messeprivilegs und Stapelrechts ein bedeutender Handelsplatz und dementsprechend bestimmen weitgehend die ansässigen Kaufleute die Geschicke der Stadt. Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen erteilt 1625 der Stadt die Erlaubnis, an die Oster- und Michaelismesse Rossmärkte anzuschließen. Kaufleute bauen zur Mitte des 17. Jahrhunderts eine Handelsbörse für Geld- und Wechselgeschäfte auf, die zwar nicht die Bedeutung von Frankfurt am Main oder Amsterdam erhält, sich aber dank der drei jährlichen Messen zu Neujahr, Ostern und Michaelis für Ostmitteleuropa zu einem wichtigen Zentrum entwickelt. 1681 etablieren die Leipziger Kaufleute mit dem Handelsgericht erstmals im Heiligen Römischen Reich eine Institution, die vor Ort Streitigkeiten während der Messen schnell beseitigt und dadurch – modern gesprochen – den Messestandort Leipzig stärkt. Doch genau dieser Erfolg macht Leipzig auf der anderen Seite zu schaffen: Innerhalb der schützenden Stadtmauern ist kein Platz mehr für neue, repräsentative Gebäude, die Lebenshaltung ist teuer. In seinem zweiten bekannten Brief an den Jugendfreund Georg Erdmann in Danzig schreibt Johann Sebastian Bach 1730 über den "sehr theüren Orth" und vergisst nicht, die "wunderliche und der Music wenig ergebene Obrigkeit" zu erwähnen (Dok I, 23), wie auch immer dies im Abstand von 270 Jahren zu bewerten ist.

Wer es sich leisten kann, lässt mehrgeschossige Gebäude errichten, die zur Straßenseite repräsentativ gestaltet und teilweise aufwendig geschmückt sind, die Hinterhöfe werden ebenfalls mehrgeschossig, aber deutlich schlichter bebaut. Sobald die Caveteglocke vom Rathaus ihren Schall durch Leipzigs Strassen und Gassen ertönen ließ, durften Einwohner und Besucher der Stadt die Strassen und Gassen nur noch mit einem Licht betreten. Die Leipziger Kaufmannschaft hatte schließlich mit ihrer Forderung nach einer städtischen Strassenbeleuchtung Erfolg, am 24. Dezember 1701 erstrahlten erstmals städtische Strassenlaternen, betreut von 18 Laternenanzündern.

Bildnachweis: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts werden rund ein Drittel der Wohnhäuser in Leipzigs Innenstadt neu errichtet, meist im barocken Stil als massive Steingebäude, mit großen Fenstern und Türen nach Holländischem Vorbild. Vor allem am Marktplatz, Katharinen-, Reichs- und Hainstraße entstehen prächtige Handelshäuser, für die mehrere Vorgängerbauten abgebrochen und die Grundstücke zusammengelegt werden. Im Erdgeschoss befinden sich Verkaufsflächen, im Hauptgeschoss großzügige bürgerliche Wohnungen, der Dachboden ist mit Lagerräumen oder zusätzlichen Stuben für Messebesucher und Studenten ausgebaut – klimatisch im Winter und Sommer wenig verlockend, aber für die Vermieter einträglich, da während der Messezeiten Wohnraum begehrt und entsprechend teuer ist, wie später noch der Leipziger Student Johann Wolfgang Goethe notieren wird.

Obst, Gemüse, Brot und Fleisch wird auf dem Naschmarkt östlich des Rathauses gehandelt, wo auch die Handelsbörse ihren Sitz hat. Beliebtes Alltagsgetränk ist das Bier, das beinahe keimfrei auf Leipziger Tische kommt und ein Grundnahrungsmittel für Groß und Klein ist, etwa in Form eines erwärmten Leichtbierbreis mit Getreide. Um 1635 besaßen 348 Leipziger Häuser Braugerechtigkeit, die entsprechende Steuern an die Stadtkasse zahlen mussten. 1720 verfügte die Stadt über 100 Gasthöfe, 15 Weinstuben und acht Kaffeehäuser, die nicht nur zu Messezeiten gut besucht waren. Bach musizierte von 1729–1737 und 1739–1741 regelmäßig mit einem Collegium Musicum in Zimmermanns Kafffeehaus, war Bier und Branntwein ebenso aufgeschlossen wie dem Kaffee.

In der Grimmaischen Vorstadt lagen die Johanniskirche und der städtische Friedhof. Geprägt war die Vorstadt durch ein- und zweigeschossige Häuser in Holzbauweise mit Schindeldächern, die seit dem 16. Jahrhundert bevorzugt von Webern, Gerbern, Kürschnern, aber auch Maurern, Zimmerleuten und Drahtzieher bezogen wurden. Auf der Bettelgasse lebten einige Stadtmusiker (sofern sie nicht im Stadtpfeifergässchen, der heutigen Magazingasse, eine Dienstwohnung hatten) sowie Musikinstrumentenmacher wie die Lauten-und Geigenmacherfamilie Hoffmann oder der Neukirchentürmer Christoph Scheinhardt.

Bildnachweis: Bach-Archiv Leipzig