Wilhelmsburg

Die „Wilhelmsburg“ gehört zu den ältesten Bauwerken der Stadt Weimar und prägt eindrucksvoll das Stadtbild. Die Arbeiten für einen neuen Südflügel förderten 1913 Funde aus der Zeit der Völkerwanderung zutage, weshalb Stadt- und Bauhistoriker davon ausgehen, dass schon in frühchristlicher Zeit hier eine befestigte Siedlung bestand. Im späteren Mittelalter entstanden der heutige Schlossturm mit dem Torbau, dessen um 1545/50 von Nikolaus Gromann aus Berkaer Sandstein geschaffene Renaissance-Portal Johann Sebastian Bach auf seinem Weg ins Schloss passierte.
Die zunächst „Hornstein“ genannte Burganlage erhielt seit dem frühen 16. Jahrhundert schrittweise ein modernes Aussehen. Nach der ernestinischen Teilung 1547 machte Herzog Johann Friedrich von Sachsen-Weimar, der 1547–1552 in kaiserlicher Gefangenschaft lag und die Kurwürde verloren hatte, Schloss Hornstein zum Regierungssitz seiner deutlich reduzierten Herrschaft. Am 2. August 1618 zerstörte ein Feuer große Teile des Schlosses, dessen Wiederaufbau Herzog Johann Ernst I. („der Jüngere“) dem Baumeister Giovanni Banalino anvertraute. Dieser plante eine moderne Vierflügelanlage, die er nicht zuletzt wegen des Dreißigjährigen Krieges nur ansatzweise umsetzen konnte. 1623 war der südliche Ostflügel vollendet, die Arbeiten an der Schlosskirche (auf der Pinselzeichnung vorne rechts) brachte sein Nachfolger Nicol Theiners 1630 zum Abschluss.

Nach einer kriegsbedingten Unterbrechung nahm Herzog Wilhelm IV. 1651 die Bautätigkeit wieder auf, allerdings mehrfach durch Geldmangel unterbrochen. Landbaumeister Johann Moritz Richter plante nunmehr für die „Wilhelmsburg“ genannte Schlossanlage eine moderne Dreiflügelanlage nach französischem Vorbild. Bis 1664 waren der Ost- und Nordflügel sowie der vierachsige Westflügel abgeschlossen, als Südseite blieben die mittelalterlichen Burgreste erhalten. In dieser Form lernte Johann Sebastian Bach das Residenzschloss kennen.
Am 6. Mai 1774 zerstörte ein Großbrand die Wilhelmsburg. Den Wiederaufbau leitete Herzog Carl August von Sachsen-Weimar erst 15 Jahre später ein, zeitweilig unter künstlerischer Beratung Johann Wolfgang Goethes. Der Festsaal, in dem einst Johann Sebastian Bach musiziert hatte, blieb zwar an der bisherigen Stelle (an der 1696 für wenige Jahre ein Theater bestanden hatte), erhielt aber einen veränderten Grundriss. Anstelle der Schlosskirche „Weg zur Himmelsburg“ entstanden hinter den sanierten Außenmauern fürstliche Wohnräume und 1913, im Zuge des von Großherzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar beauftragten Südbaus, ein Treppenhaus. Bis zur Weihe der neuen Schlosskapelle im südlichen Westflügel 1847 übernahm die Jakobskirche die Funktion einer Hofkirche.

Bildnachweise:
Pinselzeichnung von Wilhelmsburg und Torbau um 1730 - Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek Weimar
Aufnahme Wilhelmsburg Juni 2019 - Dr. Markus Zepf (Bach-Archiv Leipzig)

Bach im Dienst

Johann Sebastian Bach war erstmals im Frühjahr und Sommer 1703 als Lakai und Hofmusiker bei Herzog Johann Ernst III. von Sachsen-Weimar im Roten Schloss beschäftigt. Nach Stationen als Organist in Arnstadt und Mühlhausen kehrt er im Juli 1708 als Hoforganist bei Herzog Wilhelm Ernst an die Ufer der Ilm zurück. Neben einem Gehalt von 150 Gulden, Brennholz und Getreide erhielt Bach auch 30 Eimer Bier aus dem Schlossbrauhaus sowie zehn Gulden „zu anherschaffung seiner Mobilien“ (Dok V, B35a). Bis Ende 1717 war die Wilhelmsburg mit der Schlosskirche der bevorzugte Dienstort, hinzu kamen das Rote Schloss und das Gelbe Schloss, wo er mit Stadtorganist Johann Gottfried Walther die Prinzen unterrichtete, ferner bei hohen Kirchenfesten die Stadtkirche St. Peter und Paul. In Weimar entstanden die meisten seiner Orgelwerke, darunter auch die Orgelbearbeitungen von Konzerten Prinz Johann Ernsts von Sachsen-Weimar.

Bildnachweis: Bach-Archiv Leipzig

11 Neue Sülze 8 - Wohnung Georg Böhms

Im September 1698 war der Organist Georg Böhm als Nachfolger Christian Flors zum Organisten der Johanniskirche bestallt worden. 1661 in Hohenkirchen unweit Ohrdruf geboren, war Böhm nach seiner Schulzeit in Goldbach und Gotha ab 1693 in Hamburg nachweisbar. Ob er mit dem Ohrdrufer Organisten Johann Christoph Bach oder anderen Familienmitgliedern bekannt war, ist bislang unbekannt. Am 13. Januar 1775 berichtete Carl Philipp Emanuel Bach dem späteren Bach-Biographen Johann Nikolaus Forkel, dass sein Vater unter anderem die Werke von Dieterich Buxtehude, Jan Adams Reinken, Nicolaus Bruhns und „seinem dem Lüneburgischen Lehrmeister Böhmen Organisten Böhmen geliebt u[nd]. studirt“ hatte. Wann und bei welcher Gelegenheit Bach Böhm kennenlernte und ob er gar im Haus seines Thüringer Landsmanns lebte, ist unbekannt.

Michael Maul und Peter Wollny entdeckten 2005 in Weimar unter anderem eine Tabulaturabschrift von Jan Adams Reinckens komplexem Choralvorspiel An Wasserflüssen Babylon mit dem Schlussvermerk „Il Fine | â Dom. Georg: Böhme | descriptum ao. 1700 | Lunaburgi“. Durch die Untersuchung der Handschrift konnten sie den 15-jährigen Bach als Schreiber identifizieren. Der Schlussvermerk ergänzt Carl Philipp Emanuel Bachs gestrichenen Hinweis vom Januar 1775, wonach Böhm der Lüneburger Lehrmeister seines Vaters gewesen war. Dass zwischen beiden noch Jahrzehnte später ein gutes Verhältnis bestanden haben muss, deutet eine Notiz in der Leipziger Post-Zeitung vom 19. September 1727 an, in der „Herr Böhmen, Organisten zu St. Johann in Lüneburg“ unter Bachs Vertriebspartnern der Partiten II (BWV 826) und III (BWV 827) aus dem ersten Teil der Clavir Ubung genannt ist (Dok II, 224).

Von 1699 bis 1711, mithin also während Bachs Lüneburger Aufenthalt, lebte die Familie Böhm im Haus des Ratssyndikus’ und späteren Bürgermeisters Tobias Reimers, dem zweigeschossigen Backsteinbau Neue Sülze 8. Der Straßenname des leicht gewundenen Straßenzugs zwischen Marktplatz und der Saline im Südwesten leitet sich von einer alten Solequelle ab, die in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts auf den heutigen Grundstücken 4 und 6 betrieben wurde. Der nördliche Bereich der Neuen Sülze war wegen der großzügig bemessenen Grundstücke mit ihren bis zu 70 Meter in die Baublocks reichenden Gärten bei der städtischen Oberschicht begehrt, während auf der kleinteiligen Parzellierung im südlichen Abschnitt mehr Handwerkerfamilien lebten.

Das von Georg Böhm bewohnte stattliche Haus war 1568 durch Johann Töbing errichtet worden. Die Fassaden waren reich mit Terrakotten geschmückt, die zum Teil erhalten sind. Schon 1802 mussten Teile des Gebäudes zugunsten eines Neubaus auf dem Nachbargrundstück Nr. 9 weichen. Der restliche Gebäudeteil wurde 1961 mit Haus Nr. 9 zugunsten eines Parkhauses abgebrochen.

Die Familie Böhm zog 1711 in die (heutige) Papenstraße 13 in direkter Nachbarschaft zur Johanniskirche. Das zweigeschossige Gebäude gehörte zum Eigentum des 1501 erstmals genannten Hospitals zum Gral und wurde 1738 verkauft. Heute erinnert über dem Eingang eine geschnitzte Holztafel an den einstigen Bewohner: „In diesem Hause starb am / 18. Mai 1733 / Georg Böhm / 1698–1733 Organist am [sic] St. Johannis / ein Vorläufer Joh. Seb. Bach’s“.

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2 Lambertikirche

Im Nordosten der Lüneburger Altstadt befand sich die um 1269 erstmals erwähnte Lambertikirche, deren Baugeschichte weitgehend unbekannt ist. Das bei der Kirche liegende Hospital wurde um 1320 selbständig; 1398 musste eine herzogliche Zollbude zugunsten des Turmbaus weichen. Das Patronat lag bei den Sülfmeistern der benachbarten Saline, die den Kirchenraum im Laufe der Jahrhunderte ausstatteten und für ihre Versammlungen nutzten. Eigene Pfarrrechte erhielt die Lambertikirche aber erst im Zuge der Reformation.

Die Lambertikirche war mit einer Länge von 55 Metern und einer Breite von 30 Metern der Johanniskirche vergleichbar, besaß aber im Mittelschiff nur eine lichte Höhe von 16 Metern. Das Hauptschiff der dreischiffigen Hallenkirche hatte im 15. Jahrhundert ein reich figuriertes Sterngewölbe, die niedrigeren Seitenschiffe Kreuzgewölbe erhalten. Wie in der Johanniskirche bildeten auch in St. Lamberti am östlichen Ende der Seitenschiffe Emporen den Abschluss. Auf der Südseite war über einer zweijochigen, 1382 geweihten Sakristei der Musikchor mit hölzerne Empore entstanden, im Norden befand sich über einer ebenfalls zweijochigen Kapelle eine weitere, Lektor genannte Empore. Bis zur Reformation besaß die Kirche neben dem Hochaltar 22 weitere Altäre, die jedoch im Laufe der Zeit reduziert wurden. Die Orgel auf der Westempore war 1602 aus einem älteren Werk hervorgegangen und mehrfach erweitert worden.

Auf instabilem Untergrund errichtet, stellten sich an der Kirche mehrfach Bauschäden ein, die im 18. Jahrhundert umfangreiche Instandsetzungen notwendig machten. Da sich ähnliche Schäden an der Nicolaikirche zeigten, entschied der Stadtrat 1859 den Abbruch der Lambertikirche, da für eine Sanierung beider Kirchen die Gelder fehlten. Am 21. Februar 1860 erschien in der Neuen Hannoverschen Zeitung eine Ausschreibung zum Verkauf auf Abbruch; Teile der Ausstattung versteigerte die Stadt am 11. April 1860. Einige Altäre und liturgischen Gegenstände kamen nach St. Johannis und St. Nikolai, anderes in öffentliche Sammlungen. Die Orgel oder wenigstens Teile davon soll der Lüneburger Orgelbauer Friedrich Marbs erworben und 1867 teilweise in seiner neuen Orgel (II/15) für die Kirche im westlich von Lüneburg gelegenen Embsen verwendet haben.

1 Johanniskirche

Im Westen der Stadt Lüneburg entstand vermutlich bis etwa 1390 die imposante fünfschiffige gotische Hallenkirche St. Johannis mit ihrem heute rund 109 Meter hohen Turm. Das Kirchenpatronat liegt bis heute beim Stadtrat; in den 1470er Jahren ließ dieser ein neues Ratsgestühl anfertigen. 1484/85 lieferte ein Hamburger Maler die Tafelgemälde für den Hochaltar, die Schnitzerei vergoldete ein Lübecker Goldschläger. 1569 fertigte Heinrich Malz aus Lübeck eine neue Kanzel nach dem Vorbild aus der dortigen Katharinenkirche. Das eindrucksvolle, um 1420 entstandene Chorgestühl mit seinen 14 Sitzen besaß zunächst keine Rückwand; diese fertigte Warneke Burmester erst 1589. Nach Osten schließen hohe Wangen mit Darstellungen von Aposteln, der Ecclesia und Synagoge das Chorgestühl ab. Neben den Schnitzaltären im Chorraum und der Taufkapelle zählt der um 1490 entstandene Marienleuchter im nördlichen Seitenschiff zu den kunsthistorischen Schätzen. Ein sechsseitiger Baldachin, aus vergoldetem Eisen gefertigt, trägt eine aus Eichenholz geschnitzte, farbig gefasste und teilvergoldete Madonnenfigur im Strahlenkranz, umgeben von sechs musizierenden Engeln mit zeitgenössischen Musikinstrumenten und flankiert von zwei seitlichen, größeren Engeln. An der Rückseite dieser Figur befindet sich die Figur eines Bischofs.

Die ursprünglich reichhaltige Ausstattung der Kirche, wie sie Johann Sebastian Bach 1700–1702 erlebte, ist infolge der purifizierenden Restaurierungen im späten 18. und vor allem 1856/57 verloren oder zumindest verändert worden. Einige Kunstwerke kamen aus der 1860/61 abgebrochenen Lambertikirche hinzu, beispielsweise das 1540 von Sivert Barchmann im Auftrag der Sülfmeister gegossene Taufbecken, dessen Deckel an geschmiedeten Eisengliedern, mit vergoldeten Kugeln verbunden, aus dem Gewölbe abgehängt ist. Das ursprünglich 1685 für St. Johannis geschaffene Taufbecken mit seinen barocken Putten aus Kalkberg-Gips befindet sich als Leihgabe in der Kirche zu Deutsch-Evern, südöstlich von Lüneburg.

Besonderer Anziehungspunkt dürfte für den orgelinteressierten Johann Sebastian Bach die 1551–1553 mit 27 Registern auf drei Manualen und Pedal durch Hendrik Niehoff und Jasper Johannsen aus s’Hertogenbosch erbaute Orgel auf der Westempore gewesen sein. Dirk Hoyer ergänzte 1576 im Hinterwerk den erhaltenen Untersatz 16′. Nach einigen Reparaturen erweiterte 1651/52 Friedrich Stellwagen aus Hamburg das Instrument auf 40 Register und stimmte es im Chorton. In dieser Form übernahm es Georg Böhm, der am 26. September 1698 seine Bestallung zum Organisten als Nachfolger von Christian Flor erhielt; als Kantor wirkte 1694–1709 Johann Heinrich Büttner.

Böhm überzeugte den Stadtrat von der Notwendigkeit einer Modernisierung der Orgel durch Mathias Dropa, ehemaliger Mitarbeiter des berühmten Hamburger Orgelbauers Arp Schnitger, der 1705–1707 für die Michaeliskirche eine neue Orgel gebaut hatte. Zwischen 1712 und 1715 fertigte Dropa die markanten Pedaltürme der Johannisorgel und erweiterte das Instrument auf 47 Register.
Während seines Aufenthalts in Lüneburg pflegte Bach gute Beziehungen zu Georg Böhm. Es ist daher denkbar, dass sich beide nach Bachs Abreise über die Erweiterung der Orgel austauschten oder dass Bach im Spätjahr 1720 anlässlich seiner Bewerbung als Organist der Hauptkirche St. Jacobi in Hamburg die vergrößerte Johannis-Orgel besuchte.

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3 Michaeliskirche

Kloster und Kirche Sankt Michaelis waren 956 durch Hermann von Billung und seinen Bruder Amelung, Bischof von Verden, als adeliger Konvent unterhalb der fürstlichen Burg am Kalkberg gegründet worden. Nach der Zerstörung der Burg folgte ab 1376 der Neubau von Kirche und Kloster am heutigen Standort. Spätestens 1418 war das Langhaus, 1430/34 der mächtige Westturm fertiggestellt.

Um 1415 entstand ein Hochaltarschrein mit Doppelflügel, in dessen Zentrum eine goldene, edelsteinverzierte Reliefplatte mit Darstellungen aus dem Leben Jesu und Mariens angebracht war. Umgeben war sie von verschieden großen Fächern, in denen 88 Gefäße mit dem mittelalterlichen Reliquienschatz aus Gold, Silber und Elfenbein standen. Mittels eines Nachschlüssels verschafften sich der aus Sachsen gebürtige Räuber Nickel List und seine Bande in der Nacht vom 6. März 1698 Zugang zur Michaeliskirche, wo sie die goldene Tafel samt großer Teile des Kirchenschatzes stahlen. Die Reste des Hochaltars wurden 1790 abgebaut und Teile an die Landesgalerie Hannover verkauft. Reste zweier großformatiger Bildfolgen zur Legende des Heiligen Benedikt wurden ebenfalls nach Hannover sowie in eine Lüneburger Sammlung überführt, aus der 1891 das heutige Museum für das Fürstentum Lüneburg hervorging (seit 2011 Museum Lüneburg). Im Zuge einer klassizistischen Umgestaltung ließ Landschaftsdirektor Friedrich Ernst von Bülow schließlich 1792–1794 das Innere der Kirche umfassend verändern, sodass sich dem Besucher heute ein schlichter und freundlicher Raum öffnet.

Zur Ausstattung der Bach-Zeit gehörte die 1602 von David Schwenke aus Pirna gefertigte Sandsteinkanzel. Als Kanzelträger dient die beinahe lebensgroße Figur des Apostels Paulus mit Bibel und Schwert. Die Kanzelbrüstung enthält in 15 Feldern Bibelsprüche, Szenen aus dem Leben Christi sowie die sitzenden Figuren der vier Evangelisten mit ihren Symbolen. Anlässlich der Kirchenrenovierung 1865 wurde der Kanzelkorb um zwei Bildfelder erweitert und zugleich höher gesetzt, die Treppe entsprechend verlängert und mit zwei Figuren verziert. Der ebenfalls neue Schalldeckel ist an jenem von 1671 orientiert.

Zu Bachs Zeit befand sich die aus vorreformatorischer Zeit stammende Orgel an der Nordwand. Jacob Scherer aus Hamburg baute sie 1538–1552 um und fügte 1551 ein Rückpositiv hinzu. Auf Wunsch des Landesdirektors untersuchte der Hamburger Orgelbauer Arp Schnitger das Instrument und stellte am 13. April 1683 in seinem Gutachten fest, „daß es ein über auß altes werck ist, woran fast nichts zu finden, das noch etwas taug“. Sein ehemaliger Mitarbeiter Mathias Dropa erstellte 1705–1707 einen Orgelneubau mit 43 Registern auf drei Manualen und Pedal an der Westwand vor der Turmhalle; das historische Gehäuse enthält seit 1931 ein Werk der Firma Furtwängler & Hammer, Hannover, mit 49 Registern auf drei Manualen und Pedal.

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3 Michaelisschule

Der junge Johann Sebastian Bach besuchte von April 1700 bis vermutlich Ostern 1702 die Michaelisschule. Da nur für die ersten Wochen sich Unterlagen erhalten haben, herrscht über sein Ausscheiden aus der Lateinschule bislang Unklarheit. Da er 1700 einen Freitisch für zwei Jahre erhalten hatte, dürfte mit dessen Ende auch sein Schulbesuch beendet gewesen sein.

Die Michaelisschule zu Lüneburg war dem Michaeliskloster angeschlossen und die älteste Schule der Stadt. Blieb die „schola interna“ dem adligen Nachwuchs vorbehalten, so war die 1353 erstmals erwähnte „schola externa“ nach Hannoveraner Vorbild allgemein zugänglich. Mit Einführung der Reformation in Lüneburg 1532 vollzog sich zwar formal der Wechsel zum lutherischen Bekenntnis, doch der erste lutherische Abt widersetzte sich erfolgreich den Säkularisierungswünschen seines Landesherrn. Die Konventualen behielten ihre Ordenstracht und erst 1548 erfolgte die Umwandlung in ein evangelisches Männerstift, wobei noch Mitte des 17. Jahrhunderts Ehelosigkeit, klösterliche Tischgemeinschaft sowie die bisherigen Metten und Vespergottesdienste Bestand hatten.

Die Lüneburger Patrizier wünschten nach dem Dreißigjährigen Krieg eine Ausbildungsstätte für ihren Nachwuchs, weshalb Herzog Christian Ludwig von Braunschweig-Lüneburg 1655 die bisherige innere Klosterschule in eine Ritterakademie umwandelte. Bis zu ihrer Auflösung 1850 vermittelte sie den adligen Zöglingen neben regulärem Unterricht auch standesgemäße Übungen im Reiten, Fechten, Tanzen, Sprachen usw. Als dritte Lehreinrichtung bestand 1660–1686 ein Gymnasium academicum, das für Bachs Aufenthalt aber keine Rolle mehr spielte. Ritterakademie und Lateinschule verloren in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts allmählich an Bedeutung, 1819 erfolgte ihr Zusammenschluss.

Johann Sebastian Bach und Georg Erdmann besuchten das 1563 südöstlich an der Michaeliskirche, an einer ausgeprägten Hanglage, entstandene Schulgebäude. Zur Straße befanden sich die Eingänge zu drei Kleinstwohnungen sowie einem Holzlager im Erdgeschoss, während zum Michaeliskirchhof die Schulräume des ersten Obergeschosses beinahe ebenerdig lagen. Der Eingang befand sich beinahe ebenerdig im Westgiebel und führte zunächst in die Räume der unteren Klassen sowie – in der Nord-Ost-Ecke – zum Karzer. Im Eingangsbereich führte eine Treppe zu den Klassenräumen der oberen Klassen im zweiten Obergeschoss, in denen vermutlich auch theatralische Aufführungen stattfanden. Beide Stockwerke verfügten über größere, unbeheizte Räume für die warmen Monate sowie kleinere, beheizbare Räume für die sogenannte Winterschule.

Wo Bach und Erdmann während ihres Lüneburger Schulaufenthaltes wohnten, ist unbekannt. Anders als Johann Sebastian Bach widmete sich Georg Erdmann der Jurisprudenz. Er trat 1713 in kaiserlich russische Dienste und wirkte ab 1718 als russischer diplomatischer Vertreter in Danzig, wo er am 11./12. Oktober 1736 verstarb. Am 28. Juli 1726 eruierte Bach in einem Brief Möglichkeiten einer Anstellung in Danzig, die er vier Jahre später in Erinnerung brachte.

Bildnachweis: Bach-Archiv Leipzig

Lüneburg - Wohlstand durch Salz

Die Hansestadt Lüneburg entwickelte sich aus drei Siedlungen, nämlich dem Dorf Modestrope am Westufer des Flusses Ilmenau, dem seit Alters als Fluchtburg dienende Kalkberg (von Markgraf Hermann Billung um 950 zur stärksten Festung des Herzogtums Sachsen ausgebaut) sowie der Saline mit der Hafensiedlung. Im Laufe des 12. Jahrhunderts entstand aus diesen drei Teilen die aufstrebende Stadt Lüneburg, die geschickt ihre Rechte und Pfründe zu erweitern wusste.

Bedeutend für die Entwicklung war die Verleihung des Salzmonopols im Jahr 1247, das den Wohlstand und Aufstieg der Stadt beförderte und zugleich das Selbstbewusstsein der Bewohner deutlich stärkte. Lüneburger Salz diente in großem Umfang zur Haltbarmachung (Pökelung) von Lebensmitteln. 1371 eroberten Lüneburger Bürger gemeinsam mit dem „Salzadel“ die Burg des Landesherrn auf dem Kalkberg und entledigten sich der fürstlichen Bevormundung. 1381 trat Lüneburg dem norddeutschen Bund der Hanse bei und entwickelte sich in der Folge zu den größten Salz-Produktionsstätten im norddeutschen Raum. Befördert wurden Wohlstand und Einfluss durch die Lage an wichtigen Handelsrouten, die Norddeutschland und den Ostseeraum mit Ober- bzw. Mitteldeutschland verbinden.

Schon 1282 ist ein Ratsziegelhof nachgewiesen, der einfache Mauersteine, Dachpfannen („holsten“) sowie ab 1579 „pannen“ genannte Hohlpfannen herstellte. Während in Arnstadt oder Mühlhausen die Dächer bis ins 18. Jahrhundert mit Stroh, Rohr oder Holzschindeln gedeckt waren und einem Feuer reichlich Nahrung boten, bestimmte Herzog Otto II. bereits im frühen 14. in einem Statut, dass die Backsteinhäuser mit Dachpfannen gedeckt werden müssen. So künden in der Altstadt bis heute imposante Backsteinfassaden mit ihren Formsteinen nicht nur vom einstigen Wohlstand der Hansestadt.

Das an kriegerischen Konflikten reiche 17. Jahrhundert bescherte Lüneburg zahlreiche Probleme. 1636 nahmen schwedische Truppen die Stadt ein; die Besatzung endete im folgenden Jahr mit dem Einzug Herzog Georgs von Braunschweig-Lüneburg. Gegen den Widerstand des Rats setzte der Herzog eine neue Stadtverfassung durch, die ihm die unbeschränkte Oberaufsicht in geistlichen, finanziellen und administrativen Dingen sicherte. Neben den Patriziern, Bauern und Kagelbrüdern erkannte die Satzung nunmehr auch Gilden und Zünfte als gleichberechtigte Ratsmitglieder an. Ab 1695 entstand am Markt das herzogliche Haus als Witwensitz.

Die wachsende Konkurrenz anderer Salinen sowie die kaiserliche Freigabe der Elbschifffahrt beschleunigen den wirtschaftlichen Niedergang der Stadt, die zum Ende des Jahrhunderts schließlich ihre Selbständigkeit verlor. Zwar ermöglichte der Nord-Süd-Speditionshandel im 18. Jahrhundert nochmals eine kurze wirtschaftliche Blüte, doch vermochte er den wirtschaftlichen und politischen Abstieg nicht aufzuhalten. Die bis ins 20. Jahrhundert betriebene Salzgewinnung führt zu anhaltenden, teilweise massiven Geländesenkungen, die Gebäudeschäden bedingen. Aus diesem Grund wurde 1860/61 die erstmals 1269 bei der neuen Saline erwähnte Lambertikirche abgebrochen.

Bildnachweis: Bach-Archiv Leipzig

Lateinschule im Predigerkloster

Heinrich Raspe, Schwager der 1235 heiliggesprochenen Elisabeth von Thüringen, ließ um 1230/40 am Rande der Eisenacher Innenstadt ein Kloster errichten, das er den Erfurter Dominikanern übergab. Anfang der 1240er Jahre wurde die schlichte gotische Hallenkirche Johannes dem Täufer und der Heiligen Elisabeth von Thüringen geweiht. Die Dominikaner unterhielten eine Lateinschule, die sich wachsenden Zuspruchs bei Standespersonen erfreute und somit zur Blüte des Klosters beitrug. Die Einführung der Reformation 1525 beendete die Zeit des Predigerordens in Eisenach. In der Folge dienten die Klostergebäude mitsamt der Kirche unterschiedlichsten Nutzungen. Seit 1899 ist in der ehemaligen Klosterkirche das Thüringen-Museum untergebracht.

Nach der Säkularisation zog in den Ostflügel des Klosters das städtische Zeughaus ein, danach dienten die Räume als Amtsgefängnis, bis Herzog Johann Wilhelm von Sachsen-Weimar-Eisenach 1704 ein theologisches Seminar einrichten ließ, das er 1711 mit der Lateinschule zum Gymnasium illustre verschmolz. Im Südflügel zog 1544 die städtische Lateinschule zu St. Georgen ein, die 1498–1501 (am alten Standort am Marktplatz) Martin Luther besucht hatte. Die Lateinschule bestand neben der deutschen Volksschule und bereitete ihre Absolventen auf die Universität vor. Luthers Anweisungen folgend, organisierte sein Weggefährte Philipp Melanchthon die Eisenacher Lateinschule zu einer vierklassigen evangelischen Schule, der 1619 eine fünfte, 1658 eine sechste Klasse angegliedert wurde. In der Regel besuchten die Schüler zwei Jahre eine Klassenstufe, die meisten verließen im Lauf der Jahre die Schule und wählten bürgerliche Berufe, sodass die Absolventen der letzten Klassen die Minderheit bildeten. Auch die Söhne Johann Ambrosius und Johann Christoph Bachs besuchten die Lateinschule, darunter von 1693 bis Frühjahr 1695 auch Johann Sebastian Bach. Rektor war zwischen 1656 und 1697 Heinrich Borstelmann.

Die 1711 zum Gymnasium erhobene Lateinschule erfuhr 1840 eine Neuorganisation und erhielt den Namen des regierenden Großherzogs Carl Friedrich von Sachsen-Weimar. Über dem gotischen Portal erinnert heute eine Inschrift daran, dass dessen Nachfolger Carl Alexander die Lücke zwischen Ost- und Südflügel schließen ließ; damals entstand die Statue des Reformators Martin Luther in der Südfassade. Die DDR-Regierung löst 1960 die mittlerweise „Luther-Oberschule“ umbenannte Einrichtung auf. 1994 als „Martin-Luther-Gymnasium“ in Trägerschaft der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen neu gegründet, befindet sich die Schule nunmehr wieder im angestammten, für den modernen Schulbetrieb um- und ausgebauten Gebäude. Seitlich des historischen Portals erinnern Plaketten an die bekannten Schüler Luther und Bach.

Bildnachweis: Dr. Markus Zepf (Bach-Archiv Leipzig, Juni 2019)

Münzgebäude - Wohnhaus Johann Christoph Bachs

Zum Komplex des 1525 aufgelösten Dominikanerklosters (Predigerkloster) gehört ein westlich vom Kloster entlang der Stadtmauer zum Friedhof errichtetes Gebäude mit markantem Spitzdach, das den Mönchen vermutlich als Krankenhaus diente. Seit 1525 änderte sich mehrfach dessen Nutzung. Unter anderem ließ Herzog Johann Georg II. nach seinem Regierungsantritt 1686 durch Anbauten eine Münzstätte für Kupfer- und Silbermünzen einrichten und stellte einen Teil von April 1696 bis Februar 1700 dem Eisenacher Stadtorganisten und Hofmusiker Johann Christoph Bach zur Verfügung.

Der 1642 in Arnstadt geborene Johann Christoph Bach war vermutlich durch seinen Vater Heinrich Bach als Tastenmusiker ausgebildet worden. Im Dezember 1665 trat er das Amt des Eisenacher Stadtorganisten an St. Georgen und Nicolai an. Gemeinsam mit seinem Vetter Johann Ambrosius Bach gestaltete er die Gottesdienste an der Georgenkirche, beide wirkten seit den frühen 1680er Jahren zusätzlich als Hofmusiker. Mit großem Engagement warb Johann Christoph Bach bei den Stadtvätern für den Neubau einer großen Orgel in der Georgenkirche. Der Ohrdrufer Orgelbauer Georg Christoph Stertzing vollendete das mit 58 Registern auf IV Manualen und Pedal ungewöhnlich reich besetzte Werk aber erst 1707. Johann Sebastian Bach nannte ihn im etwa 1735 angelegten Familienstammbaum der „große und ausdrückende Componist“ und sein Sohn Carl Philipp Emanuel ergänzte später, Johann Christoph Bach habe "sowohl galant und singend, als auch ungemein vollstimmig" zu setzen vermocht und sei "in Erfindung schöner Gedanken sowohl, als im Ausdruck der Worte, stark gewesen".

Johann Christoph Bach war im Gegensatz zu seinem Vetter Johann Ambrosius offenbar ein schwieriger Charakter und finanziell weniger erfolgreich. Im Februar 1692 klagte er dem Stadtrat, dass er mit seiner Familie seit Dienstbeginn in zehn Mietwohnungen gelebt hatte. Ohne Eigenkapitel, aber in Erwartung eines baldigen Erbes erwarb Johann Christoph Bach ein Haus, dessen Kredit er schon länger nicht mehr bedienen konnte, sodass er 1692 um finanzielle Unterstützung bitten musste. Doch vergeblich, der Stadtrat lehnte eine Gehaltszulage ab. Schließlich stellte Herzog Johann Georg im April 1696 dem Musiker und seiner Familie sieben Räume in besagtem Münzgebäude neben dem Friedhof zur Verfügung, wobei aus nachvollziehbaren Gründen die Werkräume für den Musiker und seine Familie verschlossen blieben. Im Februar 1700 beanspruchte der neue Landesherr, Herzog Johann Wilhelm, die Räume und der Stadtorganist musste Ausschau nach einer neuen Bleibe halten. Ob er eine passende Unterkunft finden konnte, ist unklar. Am 23. März 1703 wurde seine Gattin Maria Elisabeth Bach auf dem Friedhof hinter der Münze begraben, wenige Tage später, am 2. April 1703, folgte ihr Johann Christoph Bach.

Bildnachweis: Dr. Markus Zepf (Bach-Archiv Leipzig, Juni 2019)

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