Notenpult und Spielanlage

Die Spielanlage ist die »Schaltzentrale« der Orgel. Sie besteht aus den Klaviaturen, der Registeranlage sowie dem Notenpult.

Die 1703 von Orgelbaumeister Johann Friedrich Wender aus Mühlhausen vollendete Orgel besitzt 21 klingende Register auf zwei Manualen und Pedal. Die mit den Händen gespielten Klaviaturen, die Manuale, hat Wender im Umfang CD–c3 gebaut, das mit den Füßen gespielte Pedal im Umfang CD–c1 d1.

Hinter dem Notenpult befindet sich die sogenannte Spieltraktur. Dünne, schmale Holzleisten verbinden die Tasten mit dem Tonventil, das im Innern der Windlade eingebaut ist. Auf der Oberseite der Windlade stehen die Pfeifen eines Registers quer zum Ventil. Das Besondere ist, dass aus allen Registern die gleichlautenden Töne, also zum Beispiel c1, über einer schmalen Kammer, der Tonkanzelle, stehen. Nach unten ist sie mit dem Ventil verschlossen, nach oben mit einem dreiteiligen Holzblock, der für jede Pfeife eine durchgehende Bohrung hat. Drückt der Organist eine Taste, zieht er das Ventil auf. Spielwind strömt aus der sogenannten Windkammer in die Kanzelle und gelangt durch die Bohrungen zu den Pfeifen. Damit nicht alle Pfeifen gleichzeitig erklingen, muss der Organist die Windzufuhr regeln. Dazu zieht er neben den Klaviaturen einen Registerzug. Diese gedrechselten Griffe  sind über horizontale und vertikale Stangen mit beweglichen Leisten, den Schleifen, in der Mitte der Holzblöcke verbunden. Im Ruhezustand verschließt die Schleife die Bohrungen. Zieht der Organist das Register, verschiebt er die Leiste, bis deren Bohrungen mit den Bohrlöchern darüber und darunter übereinstimmen, sodass der Wind aus Tonkanzelle ungehindert in die Pfeife strömen und bringt diese zum Klingen bringen kann. Mit den Tasten steuert der Organist die Tonhöhe und die Dauer des Tons, mit den Registern wählt er die Klangfarbe und Lautstärke.

Flachfeld

Seitlich der Arnstädter Spielanlage hat Johann Friedrich Wender ein Flachfeld mit angrenzenden Spitzturm konzipiert. Dahinter befindet sich das Positiv (aufgrund seiner Position hinter bzw. neben der Spielanlage auch »Brustwerk« genannt).

In Wenders Orgel sind alle sichtbaren Prospektpfeifen klingend, d. h., sie gehören zu verschiedenen Registern der Orgel. Sie stehen gut sichtbar im »Gesicht« der Orgel und sollen repräsentativ aussehen, weshalb sie aus einer hochprozentigen Zinnlegierung gebaut sind. Flötenstimmen hingegen, die einen dunklen, tragfähigen Klang erzeugen sollen, werden mit hohem Bleianteil gebaut. Die sichtbaren Prospektpfeifen gehören zur Familie der Prinzipalstimmen, das sind die Hauptstimmen der Orgel. Sie haben einen zylindrischen Körper, die Luftzufuhr erfolgt durch den konischen Fuß. Die Wender-Orgel enthält neben den zylindrischen Prinzipalpfeifen auch nach oben sich verjüngende Pfeifen, zum Beispiel im Register Viola die Gamba 8' im Hauptwerk oder Spitzflöte 4' im Positiv.

Rundturm

Im Orgelbau des 17. und 18. Jahrhunderts spiegelt das Gehäuse mit seinem harmonischen Wechsel von Flachfeldern, Rund- und Spitztürmen den inneren Aufbau des Werks. Die Wender-Orgel in Arnstadt besitzt drei Teilwerke, nämlich das Oberwerk als klangliche Basis, das Brustwerk über der Spielanlage als Farbwerk sowie das Pedal an den Außenseiten als Fundament.

Die Spielanlage befindet sich in Arnstadt (wie übrigens in den meisten barocken Orgeln) in der Mitte des Gehäuses, denn für eine leichte Spielart sind kurze Wege der Spieltraktur wichtig. Aus statischen Gründen hat jedes Werk zwei Windladen; ob die großen Pfeifen in der Mitte oder außen stehen, ist vom Platz abhängig. So stehen in Arnstadt die großen Pfeifen des Pedals in den Rundtürmen außen, jene des Oberwerks hingegen in der Mitte unter der Kirchendecke.

Notenständer - Willkommen

Vom 9. August 1703 datiert Johann Sebastian Bachs Bestallung als Organist der Neuen Kirche zu Arnstadt. Wenige Wochen zuvor hatte der gerade 18-Jährige die neue, von Orgelbaumeister Johann Friedrich Wender aus Mühlhausen erbaute Orgel eingehend geprüft. Vom August 1703 bis Juni 1707 versah Bach in Arnstadt den Organistendienst. Hier begann seine ebenso reichhaltige wie fruchtbare kompositorische Auseinandersetzung mit der Pfeifenorgel.

Das Werkemodul möchte einen spielerischen Zugang zu Bachs musikalischem Schaffen eröffnen, beginnend mit den Orgelwerken. Als ersten Schritt haben wir die 1997–1999 rekonstruierte Wender-Orgel der Neuen Kirche Arnstadt (seit 1935: »Bach-Kirche«) digitalisiert. Um Ihnen einen klanglichen Eindruck des Instuments zu vermitteln, werden in den nächsten Wochen Klangbeispiele eingestellt werden, gespielt durch Kantor Jörg Reddin. Abhängig vom Spendenstand, folgt zu einem späteren Zeitpunkt die 3D-Visualisierung des Orgelinnern, sodass Sie am Bildschirm auch den Weg des Orgelwindes durch die Windkanäle zu den Windladen und Pfeifen verfolgen können.

Die Disposition der Wender-Orgel (seit 1999)

 Oberwerk (II)    Brust Positiv (I)   Pedal
 Principal 8’  Stillgedacktes 8’      Sub Baß 16’
 Viola di Gamba 8’  Principal 4’      Principal 8’
 Quintadehna 8’      Spitzflöte 4’  Posaunen Bass 16’
 Grobgedacktes 8’  Nachthorn 4’  Cornet Bass 2’
 Gemshorn 8’  Quinta 3’    
 Offene Quinta 6’    Sesquialtera doppelt      
 Octava 4’    Mixtur III [1’]  
 Mixtur IV 2’     
 Cymbel II [1’]     
 Trompete 8’        

Tremulant Oberwerk; Cymbelsterne Oberwerk
Koppeln: Brustwerk / Oberwerk; Oberwerk / Pedal
Umfang Manuale: CD–c3; Umfang Pedal: CD–c3d3
Windversorgung: 4 Keilbälge (mechanische Treteinrichtung und Elektromotor), Winddruck 72 mm WS für alle Werke
Stimmtonhöhe: Chorton (465 Hz bei 18°C)

 

Sie können den Fortgang dieser Arbeit aktiv durch Ihre Spende unterstützen – sei es über paypal oder »konventionell« mittels Überweisung; die Daten hierzu finden Sie auf der Startseite. Allen Spenderinnen und Spendern sei schon jetzt dafür herzlich gedankt!

Werke wird geladen...

Bosehaus (Thomaskirchhof 16)

Das Gelände südlich des Thomaskirchhofs gehörte einst bis zum Augustiner Chorherrenstift und war im späten Mittelalter teilweise bebaut. Das heutige Gebäude Thomaskirchhof 16 hatte einen 1529 erwähnten Vorgängerbau, den Peter Hofmann 1580 für 1600 Gulden erwarb und durch einen 1586 vollendeten Neubau ersetzen ließ. Die Datierung des heutigen Bosehauses ist am Ostgiebel erhalten, die wenige Jahre später durch das aufgestockte Nachbargebäude Nummer 15 verdeckt wurde. Im Rahmen der Generalsanierung 2007–2010 ergab eine dendrochronologische Datierung des Dachstuhls in Haus Nr. 15 eine Bauzeit um 1594, wozu auch eine bei den Arbeiten entdeckte profilierte Stubendecke aus dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts passt.

Das Bosehaus, Thomaskirchhof 16, ist mit seiner zweischiffig gewölbten, auf drei Säulen ruhenden Eingangshalle und dem breiten Renaissance-Portal ein typisches Leipziger Kaufmannshaus, für das Wolfgang Hocquel 1991 vermutete, dass es bereits mit einem Kastenerker geschmückt war, wie er heute noch über zwei Geschosse vorhanden ist (sofern dieser überhaupt verändert wurde). Im Laufe der Jahrhunderte erfuhr das Bosehaus zwar verschiedene Umbauten und Erweiterungen, etwa 1610 um das heutige Treppenhaus in der westlichen Eingangshalle, doch im Gegensatz zu vielen anderen Leipziger Kaufmannshäusern des 16. Jahrhunderts blieb das damalige Wohnhaus sowohl im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert von einem Abbruch und im Umfeld des Zweiten Weltkriegs von Zerstörungen weitgehend verschont. Seinen heutigen Namen hat das Anwesen von dem wohlhabenden Gold- und Silberwarenhändler Georg Heinrich Bose, der das Gebäude im April 1710 auf dem Erbweg erwarb.

Bildnachweis: Bach-Archiv Leipzig (Dr. Markus Zepf, Mai 2020)

Bis Ende 1711 ließ Bose mit großem Aufwand das Vorderhaus modernisieren. Die in Fachwerkbauweise erstellten Gebäude im Hinterhof ließ er abbrechen und durch Maurermeister Nicolaus Rempe und Zimmermeister Hans Müller als massive Steingebäude „drey Geschoß hoch“ um einen quadratischen Innenhof neu aufführen sowie den Garten neu anlegen. Die Eingangshalle ließ er um ein Gewölbejoch nach Süden zum Innenhof erweitern (hinter der letzten Säule auf obiger Aufnahme) und richtete östlich der Eingangshalle ein Kontor ein, das 1719/20 durch einen gemauerten Kamin beheizbar wurde (heute Museums-Shop des Bach-Museums, links im Bild). Nach einer zeitgenössischen Baubeschreibung verfügte das Gebäude-Ensemble nicht nur über 19 beheizbare, zum Teil mit Stuck verzierte Stuben sowie zahlreiche Wohn-, Wirtschafts- und Lagerräume, sondern auch eine neue Wasserleitung ins Erdgeschoss des Westflügels, der heute teilweise dem Bach-Museum dient. Hier befanden sich einst Waschhaus, Badestube und Wäschekammer, während im Ostflügel zwei zur Messezeit vermietbare Warenlager, ein Speisegewölbe für Lebensmittel sowie der Pferdestall lagen.

Der bedeutendste Raum des erneuerten Bosehauses war jedoch der zwei Stockwerke umfassende Sommersaal mit sechs Fensterachsen im zweiten Obergeschoss des Hintergebäudes. Werner Neumann machte im Bach-Jahrbuch 1970 auf eine zeitgenössische Baubeschreibung aufmerksam, die vier eingemauerte Spiegel mit „artiger Einfaßung von Stoccatur-Arbeit“ aufführt sowie als architektonische Besonderheit im barocken Leipziger Wohnbau ein „gemahltes ovales Deckenstücke, so oben drüber mit angemachten Rollen an Leinen aufgezogen werden“ konnte und „eine Gallerie mit einem saubern Ballustraden-Geländer“ öffnete, die beispielsweise als Musizierempore benutzt werden konnte.

Georg Heinrich Bose starb 1731. Seine älteste Tochter Christiana Sibylla heiratete am 6. Februar 1744 den wohlhabenden Kaufmann und Kunstsammler Johann Zacharias Richter, der das Gebäude-Ensemble mitsamt dem Großbosischen Garten vor dem Grimmaischen Tor für 13.000 Reichstaler erwarb. Vermutlich im zweiten Obergeschoss des Ostflügels machte er seine Gemäldesammlung der Öffentlichkeit zugänglich. Sein Bruder verwaltete die mit einem gedruckten Katalog erschlossene "Richter’sche Naturaliensammlung" in der Hainstraße Nr. 260 (heute Hainstr. 5).

Bildnachweis: Bach-Archiv Leipzig (Dr. Markus Zepf, Innenhof; Brigitte Braum, Sommersaal)

Georg Heinrich und Eva Sibylla Bose, die in Venedig geborene Tochter eines Dänischen Konsuls, waren den Künsten zugewandt und ließen ihre Kinder entsprechend unterrichten. Da Bose bereits 1731 starb, haben sich in der Nachlassakte einige Quittungen für Musik- und Zeichenunterricht erhalten, die Werner Neumann ebenfalls 1970 veröffentlichte. Die älteste Tochter Christiana Sibylla Bose erhielt 1732/33 durch den Thomasorganisten Johann Gottlieb Görner „Information aufn Claviere“, womit das Clavichord als „fundament aller clavirten Instrument“ gemeint war. Stadtpfeifer Johann Caspar Gleditsch erteilte der zweiten Tochter, Sophia Carolina, Unterricht auf der Laute, der jüngste Sohn, Christian Gottlob, erhielt Violinunterricht durch Johann Christoph Weiß, einen Theologiestudenten der Universität, während für den zweitjüngsten Sohn, Georg Heinrich Bose jun., 1739/40 Ausgaben für eine „Flaut a bec“ (Blockflöte), „Musicalia“ und Musikunterricht erhalten sind.

Räumlich betrachtet, bestand zwischen den Familien Bach und Bose eine enge Nachbarschaft, denn die Thomasschule stand näher am Bosehaus als der 1904 eingeweihte Nachfolgebau. Dass zwischen beiden Familien auch persönlich freundschaftliche Beziehungen bestanden haben, zeigen die Kirchenbücher der Thomasgemeinde: Fünf Bose-Töchter sind bei vier Taufen Bach’scher Kinder als Patinnen eingetragen, nämlich Christiana Sibylla Bose 1731 bei Christiana Dorothea Bach und 1735 bei Johann Christian Bach, Sophia Caroline Bose 1737 bei Johanna Carolina Bach sowie Anna Regina und Susanna Elisabeth Bose 1742 bei Regina Susanna Bach. Einige Bekanntheit hat in den vergangenen Jahren ein Geburtstagsgeschenk aus Anna Magdalena Bachs Bibliothek erlangt. Sie widmete Christiana Sibylla Bose zum Geburtstag den voluminösen Band von Johann Jacob Rambachs Betrachtungen über das gantze Leiden Christi [...] nach der Harmonischen Beschreibung der vier Evangelisten abgehandelt [...], Halle / Saale 1730: „Als der HochEdlen, Hoch- Ehr- und Tugendbegabten Jonffer, Jonfer Christiana Sybilla Bosin, meiner besonders hochgeehrtesten Jonfer Gefatterin u. werthesten Herzens Freündin erfreülicher Geburths Tag einfiel; wolte mit diesen kleinen doch wohl gemeinten Andencken sich bestens empfehlen. Anna Magdalena Bachin“.

Unbekannt bleibt, ob und wie häufig die Familie Bach im Sommersaal oder der Bose'schen Wohnung musizierte, ob mit Beteiligung der Familie Bose oder mit anderen Musikern, ob öffentlich zugänglich oder im privaten Rahmen. Denkbar ist Vieles, hinreichend zu belegen bislang aber nichts.

Bildnachweis: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Porträt G. H. Bose); Bach-Archiv Leipzig (Matthias Knoch)

Im ausgehenden 19. und ersten Viertel des 20. Jahrhunderts ist das Bosehaus mit Paul de Wit verbunden. Im März 1887 richtete der in Maastricht geborene Musiker, Verleger und bedeutende Sammler historischer Musikinstrumente im ersten Obergeschoss des Vorderhauses die Geschäftsräume für seine 1880 begründete Zeitschrift für Instrumentenbau ein, dem bis zum Zweiten Weltkrieg maßgebenden Organ des deutschen Musikinstrumentenbaus. Die Zeitschrift hatte erheblichen Anteil am Aufbau von de Wits Sammlungen. Im Jahr 1888 verkaufte de Wit 240 Musikinstrumente der Königlichen Hochschule für Musik in Berlin, zwei Jahre später folgten weitere 282 Objekte, darunter das berühmt-berüchtigte "Bach-Cembalo". Das unsignierte zweimanualige Cembalo wird der Werkstatt von Johann Heinrich Harraß in Großbreitenbach (Thüringen) zugeschrieben. De Wit hatte es kurz zuvor vom Leipziger Thomaskantor Wilhelm Rust erworben und verkaufte es wortgewandt, aber ohne hinreichende Belege als nachgelassene "Reliquie" Johann Sebastian Bachs der Berliner Hochschule. Seine Argumente überzeugten sogar den verdienstvollen Bach-Forscher Philipp Spitta, der dem Ankauf für stolze 10.000 Reichsmark zustimmte.

Seine dritte Sammlung historischer Musikinstrumente, Musikerporträts, Zubehör und Kuriosa machte de Wit im März 1893 im zweiten Obergeschoss des Bosehauses der Öffentlichkeit zugänglich, nachdem die Hauseigentümerin Louise Hermsdorf dem Entfernen von Zwischenwänden zugestimmt hatte. Eine Übereinkunft mit der Stadt Leipzig zur Übernahme der Sammlung scheiterte 1905 und de Wit verkaufte seine Sammlung, bestehend aus über 800 Musikinstrumenten, zahlreichen Musikerporträts sowie Zubehör dem Kölner Papierfabrikanten und Musikmäzen Wilhelm Heyer. Dessen Museumsleiter, Georg Kinsky, meldete übrigens im Bach-Jahrbuch 1924 Zweifel an der Echtheit des Berliner "Bach-Cembalos" an. Heyers Erben wiederum verkauften 1926 dem Sächsischen Staat die auf mehr als 2.800 Musikinstrumente angewachsene Sammlung mit erlesenen Objekten für die Universität Leipzig. Ermöglich hat diesen Ankauf die großzügige Spende über 200.000 Reichsmark von Henri Hinrichsen, Inhaber des Musikverlags C. F. Peters Leipzig. Seiner Verdienste für Kunst und Wissenschaft ungeachtet, ermordeten ihn nationalsozialistische Schergen wegen seines jüdischen Glaubens am 17. Februar 1942 in Auschwitz.

Das Hinterhaus mit dem Sommersaal war schon 1859 zu Wohnungen umgebaut worden, im Vorderhaus befanden sich im Erdgeschoss Ladengeschäfte. Werner Neumann, Gründer und Direktor des Bach-Archivs von 1950–1973, machte 1970 im Bach-Jahrbuch auf die Bedeutung des Gebäude-Ensembles Thomaskirchhof 16 aufmerksam und erreichte, dass der Rat der Stadt Leipzig 1973 im Erdgeschoss eine Bach-Gedenkstätte einrichtete, die zum 250. Jahrestag von Bachs Dienstantritt als städtischer Thomaskantor in Leipzig eröffnet wurde. Das Bach-Archiv hatte 1951 Räume im Gohliser Schlösschen bezogen und konnte zu Johann Sebastian Bachs 300. Geburtstag am 21. März 1985 das sanierte und rekonstruierte Bosehaus als Forschungs- und Gedenkstätte beziehen. Unter Direktor Christoph Wolff wurde das Bosehaus 2007–2010 mitsamt dem östlichen Nebengebäude (Haus Nr. 15) denkmalgerecht saniert und für die Aufgaben des weithin anerkannten Forschungsinstituts mit Museum und öffentlich zugänglicher Bibliothek angepasst.

Bildnachweis: Bach-Archiv Leipzig (Dr. Markus Zepf, April 2018)

Leipzig 3D

Leipzig 3D

Mit Leipzig 3D laden wir Sie zu einer virtuellen Tour durch Bachs Leipzig ein. Die Voraussetzung für diese Anwendung liefert ein großer Schatz, den das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig im Alten Rathaus verwahrt: Ein 1822 von dem Leipziger Tapezierer und Möbeltischler Johann Christoph Merzdorf vollendetes 3-D-Stadtmodell Leipzigs. Dieses zeigt die Stadt Leipzig mit ihren Vorstädten weitestgehend in jener Form, wie sie Johann Sebastian Bach in seinen 27 Leipziger Jahren erlebte. In Zusammenarbeit mit dem Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig haben die Berliner Medienagentur KplusH und das Bach-Archiv den Weg des Thomaskantors von seiner Wohnung am Thomaskirchhof über den Marktplatz bis zur Nikolaikirche rekonstruiert.

Rufen Sie hier die Anwendung Historisches Leipzig als 3D-Modul auf

Thomasschule

Im Jahre 1254 ist erstmals im Westen der Stadt Leipzig eine Schule am Augustiner Chorherrenstift genannt, das 1212 auf Initiative des Markgrafen Dietrich von Meißen entstanden war. Im Zuge der Reformation übernahm 1543 die Stadt das begüterte Stift mitsamt der Thomasschule, die ihren musikalischen Schwerpunkt beibehielt. Die überwiegend von Leipziger Kindern besuchte Nikolaischule war 1512 schon in städtische Obhut gekommen. Die Thomasschule hingegen besuchten schon vor der Reformation viele Auswärtige, die entsprechend Unterkunft und Verpflegung benötigten. Die Thomasschule erhielt zu beinahe allen Zeiten bedeutende Vermächtnisse (sogenannte Legate) aus der Bevölkerung, deren Zinsen für Bücher, Kleidung, Unterkunft und Versorgung der Alumnen (etwa in Form von Freitischen, wie sie einstmals Johann Sebastian Bach in Ohrdruf und Lüneburg bezogen hatte) sowie die Bezahlung des Lehrpersonals bestimmt waren. Als Kantor an der Thomasschule stand Johann Sebastian Bach 1723–1750 an dritter Stelle neben Rektor und Konrektor und hatte somit ebenfalls Anteil an Legaten, zum Beispiel an jenem der Anna Justine Meyer, das „Herrn D. Johann Ulrich Meyers Frau Witwe dergestalt legiret, daß davon 5. gr.[oschen] dem Cantori, und 2 ½ gr. jeden Knaben so weit es zureichet wegen Absingung eines SterbeLiedes ausgetheilet werden sollen […]“ (Dok II, Nr. 151). Die Thomaner waren außerhalb der Gottesdienste ebenfalls im Alltag präsent, sei es bei Hochzeiten, Beerdigungen oder – zur Bachzeit seltener – der Begleitung öffentlicher Hinrichtungen.

Entlang der Stadtmauer an der Thomaskirche ließ der Stadtrat 1553 ein neues dreigeschossiges Schulhaus mit hohem Satteldach errichten. Zur Bachzeit schloss sich nördlich zur Thomaskirche ein Wirtschaftsgebäude an, sodass nur ein schmaler Weg zum Westportal der Kirche führte. Bis ins späte 19. Jahrhundert wohnten die Alumnen mit Rektor, Konrektor und Kantor unter einem Dach. Nach längeren Verhandlungen beschloss der Rat 1731 die Erweiterung des Schulhauses, das binnen eines Jahres drei weitere Stockwerke und wiederum ein dreigeschossiges Dach erhielt, in dem nun der Schlafsaal und entlang der Außenwände 32 Studierkabinette für die Alumnen untergebracht waren. Nördlich entstand ein neues Wirtschaftsgebäude, in dem auch die Kranken- und Badstube untergebracht waren; letztere befand sich zuvor kaum 100 Meter von der Schule entfernt in der Burgstraße 14. Zur Wiedereinweihung des Schulgebäudes komponierte Bach die Kantate Froher Tag, verlangte Stunden BWV 1162 (BWV Anh. 18), deren Musik verschollen ist (Dok II, Nr. 311).

Zwischen Thomasschule und dem Wohnhaus Thomaskirchhof 17 (das einst zum Besitz des Thomasklosters gehörte) befand sich bis 1875 das „Thomaspförtchen“. Eine im Dreißigjährigen Krieg zerstörte Fußgängerbrücke ins Vorgelände wurde erst 1788 ersetzt, sodass zur Bachzeit kein direkter Weg vom Thomaskirchhof in die westlich gelegenen Gärten des wohlhabenden Kaufmanns Apel führte. Nachdem die Thomasschule 1877 einen Neubau an der Schreberstraße bezogen hatte, stand die alte Schule zur Disposition und wurde (ungeachtet zahlreicher Proteste) 1902 zugunsten eines Neubaus der Superintendentur abgebrochen.

Bildnachweis Graphik: Bach-Archiv Leipzig
Bildnachweis Innenaufnahmen 1902: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Zu Bachs Zeit waren folgende Rektoren an der Thomasschule tätig:

Johann Heinrich Ernesti (1652–1729) aus Königsfeld bei Rochlitz von 1684–1729
Johann Matthias Gesner (1691–1761) aus Roth von 1730–1734
Johann August Ernesti (1707–1781) aus Tennstädt von 1734–1759

Das Amt des Konrektors bekleideten in dieser Zeit:
Christian Ludovici (1663–1732) aus Landshut bei Breslau von 1697–1724
Johann Christian Hebenstreit (1686–1756) aus Neustadt an der Orla von 1725–1731
Carl Friedrich Petzold (1678–1731) aus Ottendorff im Jahr 1731
Johann August Ernesti (1707–1781) aus Tennstädt von 1731–1734
Sigmund Friedrich Dresig (1700û1742) aus Vorberg / Lausitz von 1734–1742
Conrad Benedikt Hülse (1706–1750) aus Köthen von 1742–1750

Bachs Dienst an der Thomasschule umfasste neben Musik- auch Lateinunterricht. Schon bei der Wahl Bachs im Stadtrat am 22. April 1723 war seine Verpflichtung zum Unterricht diskutiert worden und Ratsherr Krengel gab damals zu Protokoll, würde Bach „sich der Information nicht entziehen; wenn er es aber nicht verrichten könnte, solche durch einen andern tun zu laßen“ und Ratsherr Küstner ergänzte pragmatisch: „und müste auf seine Kosten die Information von den übrigen Schul-Collegen übertragen werden.“ (Dok II, Nr. 129). In der Tat übertrug Bach einen Teil seiner Unterrichtsverpflichtung für 50 Reichstaler dem Tertius Carl Friedrich Petzold (Dok II, Nr. 175 , Nr. 177, Nr. 178). Stadtrat und Konsistorium waren hierüber nicht erfreut und noch am 2. August 1730 klagte Vizekanzler und Bürgermeister Jacob Born, dass Bach „sich nicht so, wie es seyn sollen, aufgeführet, Not. ohne Vorwissen des Reg. Herrn Bürgerm. einen Chor Schüler aufs Land geschicket“. (Dok II, Nr. 280). Ein Gespräch des Bürgermeisters mit dem Kantor erbrachte keine Besserung, vielmehr gab Born zu Protokoll, dass Bach „schlechte lust zur arbeit bezeige“, weshalb fortan Abraham Kriegel den Unterricht übernahm (Dok II, Nr. 281).

Für die Kirchenmusik an den vier innerstädtischen Kirchen St. Thomas und St. Nikolai, der Neuen Kirche und der Peterskirche standen Bach pro Schuljahr unterschiedlich viele Sänger zur Verfügung, die er nach ihrer Qualifikation „für die 4 Kirchen [einteilte], worinne sie theils musiciren, theils motetten und theils Chorale singen müßen. In denen 3 Kirchen, als zu S. Thomae, S. Nicolai und der Neüen Kirche müßen die Schüler alle musicalisch seyn. In die Peters-Kirche kömmt der Ausschuß, nemlich die, so keine music verstehen, sondern nur nothdörfftig einen Choral singen können.“ (Dok I, Nr. 22) Im Schuljahr 1729/30 standen ihm 44 Sänger zur Verfügung, die er in Nikolai-, Thomas- und Neukirche jeweils mit drei Sängern pro Stimme, in der Peterskirche mit je zwei Sängern einsetzte. Im Schuljahr 1744/45 hingegen standen ihm für die beiden ersten Chöre jeweils 17 Sänger, für den dritten Chor 13 und den vierten Chor sieben Sänger zur Verfügung (Glöckner, Dokumente zum Thomaskantorat, VIII / C45 und C88), was annähernd seinem im August 1730 formulierten „Kurtzen, iedoch höchstnöthigen Entwurff einer wohlbestallten Kirchen Music“ entsprach, worin er von 55 Sängern ausgegangen war.

Bildnachweis Graphik: Bach-Archiv Leipzig
Bildnachweis Fotografie: Bach-Archiv Leipzig (Dr. Markus Zepf, März 2020)

Neue Kirche (Neukirche)

Unweit des Thomasklosters entstand im Nordwesten der Leipziger Innenstadt vermutlich im frühen 13. Jahrhundert die Klosterkirche der Franziskaner. Im Zuge eines 1476 eingeleiteten Neubaus entstand auf der Südseite der Kirche die Klosteranlage mit Klausur, die 1494 geweihte zweischiffige Hallenkirche mit einfachem Sterngewölbe schloss an den hochgotischen Chorraum an. Mit der Einführung der Reformation in Leipzig erfolgte am 6. August 1539 die Aufhebung des Barfüßerklosters, vier Jahre später verließen die letzten Mönche das Kloster, das an Herzog Moritz von Sachsen fiel, der es der Stadt Leipzig verkaufte. Da bereits ausreichend Kirchen vorhanden waren, beschloss der Stadtrat zunächst den Chorraum abzubrechen und die Klausurgebäude zu Wohnungen umzugestalten; ab 1552 diente das Kirchenschiff als Stapelplatz der Kaufleute.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erholte sich Leipzig zusehends von den Wirren des Dreißigjährigen Krieges, die Bevölkerung wuchs an und ein weiterer Kirchenraum musste her. 1671 setzten bürgerschaftliche Bemühungen um eine Wiederbelebung des Sakralraums ein, die schließlich 1698/99 in den Wiederherstellung der Kirche nach Plänen von Baumeister George Winckler (unter möglicher Einbeziehung von Ratsbaumeister und Obervogt Johann Michael Senckeisen) mündeten. Die Ostseite der Kirche erhielt eine repräsentative barocke Vorhalle mit einem fünfachsigen Mittelrisaliten, bekrönt von einem Segmentbogengiebel mit dem Stadtwappen. In der Nordostecke nahm ein Treppenturm die neue Türmerwohnung auf, an der Nordseite der Kirche entstanden Betstuben, den Familienkapellen an der Thomas- und Nikolaikirche vergleichbar. Die am 24. September 1699 geweihte „Neue Kirche“ (kurz Neukirche genannt) besaß ähnlich der benachbarten Thomaskirche ein charakteristisch steiles Dach von 35 Metern Höhe, das schließlich 1703/04 durch Johann Christian Schmidt und Maurermeister Johann Gregor Fuchs einen Dachreiter erhielt.

Bildnachweis: Bach-Archiv Leipzig

Das Innere der Neuen Kirche war bewusst als evangelische Predigtkirche mit umlaufenden Doppelemporen konzipiert. An der östlichen Stirnseite befand sich der von einem Gitter umgebene Altar, von Michael Hoppenhaupt aus Merseburg errichtet, mit einer Darstellung der Verkündigung an Maria. Über dem Altar hing die Kanzel, darüber die 1703 von Christoph Donat Vater und Sohn vollendete Orgel mit 21 Registern auf II Manualen und Pedal, die Georg Philipp Telemann am 7. September 1704 „mit wohl componirten Stücken“ einweihte (1847 lieferte Johann Gottlob Mende einen Neubau). Telemann hatte bis 1705 das Amt des Musikdirektors inne und gründete ein studentisches Collegium Musicum, das Thomaskantor Johann Kuhnau offenbar fähige Musiker entzog. Mit dem 1703 verpflichteten Türmer Christoph Stephan Scheinhardt stand ein weiterer ausgebildeter Musiker und Blasinstrumentenbauer zur Verfügung, dessen Ensemble („Scheinhardtsche Compagnie“) in die Figuralmusik eingebunden war. In der Neukirche musizierte seit 1699 der dritte Chor der Thomasschule, unterstützt durch studentische und freie Musiker. Am 1. August 1720 war Georg Balthasar Schott als Organist bestallt worden; 1722 bewarb er sich ebenfalls auf das Thomaskantorat und führte am Fest Mariae Reinigung (2. Februar 1723) in der Neukirche seine Probemusik auf (Dok II, Nr. 122). Im Frühjahr 1729 wechselte er als Stadtorganist nach Gera und Johann Sebastian Bach übernahm das regelmäßig in Zimmermanns Kaffeehaus musizierende Schott’sche Collegium Musicum. Als neuen Organisten und Musikdirektor der Neukirche wählte – auf Bachs Empfehlung – der Stadtrat am 10. Mai 1729 Carl Gotthelf Gerlach, der bis 1761 amtierte.

Wie die anderen Leipziger Kirchen diente auch die Neukirche 1806–1810 als Lager für preußische Kriegsgefangene und war 1813–16 Lazarett. Entsprechend litt die Inneneinrichtung, die anschließend renoviert werden musste. Erst am 8. Oktober 1876 wurde die Neue Kirche zur selbständigen Pfarrkirche erhoben und erhielt den Namen des Evangelisten Matthäus. Unter dem Leipziger Architekten Oscar Mothes fand 1877–1880 eine Renovierung im Stile der Neugotik statt. Am 4. Dezember 1943 zerstörten Bomben das Gotteshaus, in dessen Ruine am 1. August 1948 der letzte Gottesdienst stattfand. Teile des Inventars sind in der Thomaskirche erhalten. Auf dem Gelände der Matthäikirche und des ehemaligen Klosters entstand Ende der 1950er Jahre die Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. An die Zerstörte Kirche erinnert seit 1998 am Rande des Grundstücks ein Denkstein des Leipziger Künstlers Matthias Klemm.

Bildnachweis Mattäikirchhof um 1900, Fotoatelier Hermann Walter: Stadtarchiv Leipzig
Bildnachweis heutiger Zustand: Bach-Archiv Leipzig (Dr. Markus Zepf, März 2020)

Johanniskirche

Vor den Toren der Stadt Leipzig entstand um 1280 das Johannishospital, dessen Kirche erstmals 1305 erwähnt ist. Das kleine Gotteshaus erlitt 1547 bei der Belagerung der Stadt schwere Schäden und wurde erst 1582–84 durch Ratsmaurermeister Gregor Richter (vermutlich unter Mitarbeit von Zimmermann Hieronymus Freiberger) als lutherische Predigt- und Friedhofskirche neu erbaut. Bis 1883 war die Kirche von einem mehrfach erweiterten Friedhof umgeben, auf dem auch Johann Sebastian und Anna Magdalena Bach bestattet wurden. Mittig an der Südwand der Saalkirche hing die 1586 vom Bildhauer Valentin Silbermann geschaffene Kanzel, die beim Abbruch der Kirche 1894 ins Stadtgeschichtliche Museum kam. Einen um 1520 gefertigten Schnitzaltar der Nikolaikirche arbeitete Silbermann 1607 für die Johanniskirche um, den er im Stil der Spätrenaissance staffierte. Die Schnitztafeln sind in der Südkapelle der Nikolaikirche erhalten. Schließlich erhielt die schlichte Kirche 1746–49 durch Ratsbaumeister George Werner einen barocken Kirchturm, der in der Sichtachse vom Augustusplatz einen städtebaulichen Akzent setzte.

Bildnachweis Graphik: Bach-Archiv Leipzig
Bildnachweis Innenaufnahme: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Sammlung Hermann Walter)
Bildnachweis Orgelspieltisch: Bach-Archiv Leipzig (Dr. Markus Zepf, März 2019)

Seit 1623 bestellten Thomasschüler an hohen Festtagen die Figuralmusik in der Johanniskirche, wofür die Schüler regelmäßige Kuchen, Pfannkuchen, Martins-Hörnchen sowie Christstollen erhielten (Glöckner, Dok. VIII/C  7 und Dok. VIII/C 8). Die Johanniskirche war Bach durchaus vertraut, als Universitätsorgelbauer Johann Scheibe 1742 eine neue Orgel mit 22 Registern auf zwei Manualen und Pedal baute, für die er Pfeifen der zwei Jahre zuvor abgebauten kleinen Orgel der Thomaskirche verwendete. Bachs einstiger Schüler Johann Friedrich Agricola berichtet in einer Anmerkung zu Jacob Adlungs postum veröffentlichter Musica Mechanica Organoedi, Berlin 1768 (Teil 1, S. 251): Die „Orgel zu St. Johannis ist nach der strengsten Untersuchung, die vielleicht jemals über eine Orgel ergangen ist von dem Hern. C[apell]. M[eister]. Joh. Seb. Bach, und dem Hrn. Zacharias Hildebrand für untadelhaft erkannt worden.“ Im Zuge des Kirchenneubaus wurde das mehrfach umgebaute Instrument 1894 abgebrochen und eingelagert. 1900 erwarb der Leipziger Verleger, Musiker und Sammler alter Musikinstrumente, Paul de Wit, die Orgel für sein Museum im Bosehaus. Er ließ die im 19. Jahrhundert erneuerte Spielanlage mit Gehäuseteilen zu einem Orgelspieltisch vereinen, der mit der Orgelbank zur „Bach-Reliquie“ seiner Sammlung wurde. Im Zweiten Weltkrieg erlitt der Spieltisch mehrere Beschädigungen und büßte seine Manualklaviaturen ein. Schließlich gelang es Christoph Wolff (2001–2013 Direktor des Bach-Archivs Leipzig), den Spieltisch mithilfe von Spenden ausstellungsfähig restaurieren und ergänzen zu lassen, sodass er seit 2010 als Dauerleihgabe des Musikinstrumenten-Museums der Universität Leipzig im Bach-Museum zu sehen ist.

Mit der Bildung der selbständigen Johannisgemeinde aus Teilen von Nikolai-, Thomas- und Petersparochie 1891 war die Johanniskirche zu klein geworden. Am 22. Juli 1894 fand der letzte Gottesdienst in der alten Kirche statt, die mit Ausnahme des Turms abgebrochen und nach Plänen von Hugo Licht bis 1897 als neubarocke Saalkirche wiedererstand. Vor dem Abbruch setzte im Oktober 1894 die Suche nach Johann Sebastian Bachs Grab ein. Für die damals geborgenen Knochen sowie die Überreste des Dichters Christian Fürchtegott Gellert entstand vor den Chorstufen der neuen Johanniskirche eine Gruft mit zwei Schausärgen. Das Kirchenschiff brannte nach einem alliierten Luftangriff am 2. Dezember 1943 aus, ein weiterer Angriff zerstörte am 20. Februar 1944 große Teile des Mauerwerks – der Turm blieb jedoch erhalten. Die Ruine war bis 1949 abgetragen und der Turm schrittweis ein den folgenden Jahren instandgesetzt. Dennoch ließ ihn das SED-Regime am 9. Mai 1963 gegen die Proteste von Bürgerschaft und Denkmalpflege sprengen. Die 1912 von Johannes Hartmann für das Westportal geschaffenen Sandsteinfiguren von Mose, Johannes dem Täufer und Petrus waren vor der Sprengung geborgen worden, sind aber später bei Erdarbeiten im Hof des Grassi-Museums zerstört wurden. Die Fläche ist heute als Rasen mit Kirschbäumen bepflanzt. Auf Initiative des Fördervereins „Johanniskirchturm e.V.“ markieren ein Rechteck im Rasen die Umrisse der ehemaligen Bach-Gellert-Gruft, ein Kreis die Position des sogenannten Bach-Grabes. Ein Holzkreuz erinnert an den barocken Kirchturm und seine Zerstörung 1963. Im Vorfeld des Reformationsjahrs hat die Stadt Leipzig am Rande der Rasenfläche 2016 gegossene Bronzeplatten mit Informationen zur Geschichte von Johanniskirche und Spital, des Friedhofs sowie der Grabstätten Bachs und Gellerts anbringen lassen.

Bildnachweis Fotografie 1893: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
Bildnachweis Fotografie neue Johanniskirche mit Reformationsdenkmal: Atelier Hermann Walter - Stadtarchiv Leipzig
Bildnachweis heutiger Zustand: Bach-Archiv Leipzig (Dr. Markus Zepf, März 2020)

abonnieren